Kommentar

Nach Ampel-Aus: Euphorie, gerne - Schmähungen, nein danke

Der Ampelbruch sorgt für Erleichterung und Triumphgefühle. Die Grünen feiern ihren Kanzlerkandidaten Robert Habeck, die Union sieht sich als Sieger. Der Wahlkampf dürfe nun nicht zum Wettbewerb um die Erfindung des ätzendsten Schmählabels werden, kommentiert unsere Autorin.

Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender und Unionsfraktionsvorsitzender, spricht im Bundestag vor Christian Lindner (l-r, FDP), Bundesminister der Finanzen, Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Themen der Sitzung sind eine Debatte zum Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel sowie der ersten Lesung einer Grundgesetz-Änderung, die den Schutz des Bundesverfassungsgerichts verbessern soll. | © picture alliance/dpa

Daniela Vates
17.11.2024 | 17.11.2024, 15:00

Zwei Gefühlslagen bestimmen gerade die Politik in Deutschland: Erleichterung und Triumph. Die Ampel-Koalition ist zerbrochen. SPD, Grüne und FDP – und mit ihnen alle im Land - sind befreit von ermüdenden Kompromisssuchen und dem Ertragen gegenseitiger Provokationen. Die bisherigen Oppositionsparteien sehen sich, bequemerweise ganz ohne eigenes Zutun, als Wahlsieger.

Beides erzeugt Euphoriegefühle. Es gibt Applaus in der SPD-Fraktion für einen Kanzler, der gerade die Regierung beendet hat, und bei der FDP für, wie sich nun herausstellt, offenbar wohl inszenierte Sturheit. Der Grünen-Parteitag schwelgt in Aufbruchstimmung und Begeisterung für den Kanzlerkandidaten, der Prinzipientreue und Pragmatismus verspricht. Die Union wiegt sich in siegesgewissem Trotz. Nur bei der AfD ist alles wie immer: Sie findet gleichbleibend alles schlecht.

Auf einen Schock wie einen Regierungsbruch – und ein solcher ist es, unabhängig davon, ob man ihn für notwendig oder vermeidbar hält – sind Schockreaktionen verständlich. Der Druck, die Überraschung, der Frust, die Freude, all das muss mal raus. Dann ist es aber auch gut.

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Winter-Wahlkampf steht bevor

Rund 100 Tage sind es nun bis zur vorgezogenen Bundestagswahl. Es wird ein Winter-Wahlkampf. Außenministerin Annalena Baerbock empfiehlt das Mützenstricken. Aber das wird nicht reichen. Die Aufgabe ist, dass das Land sich keine langfristigen Erfrierungen zuzieht.

In den USA hat Donald Trump gerade vorgemacht, wie sich Wahlen gewinnen lassen: mit Lügen, Drohen und Verleumden. Plumpheit first, das war das Motto. Die Trump-Masche hat das Land verrohen lassen.

Nach der ersten Aufwallung durch den Koalitionsbruch ist es nun die Aufgabe aller, sicherzustellen, dass es in Deutschland nicht so läuft.

Gegensätze und Polarisierung

Klar, Wahlkampf lebt von Gegensätzen und von Polarisierung. Unterschiedliche Positionen müssen deutlich werden. Wann, wenn nicht in dieser Zeit können Parteien deutlich machen, wie sie das Land gestalten würden, wenn ihnen kein nerviger Koalitionspartner reinredet. Was nicht hilft: ins allgemeine Gemaule einzustimmen und damit sicherzustellen, dass die Depression chronisch wird.

Ideen muss es geben statt Skandalisierung. Wer die verbale Schlägerei zum Standard-Umgangston macht, hat noch keine Lösungen angeboten. Wer auf das Schüren von Ängsten setzt, empfiehlt sich nicht für Verantwortungsübernahme. Die Erfindung des ätzendsten Schmählabels ist kein Regierungsprogramm.

Shitstorm gegen Bundeswahlleiterin

Und eine Abgrenzung zu Parteien, die mit der Demokratie nicht viel am Hut haben, ist erst glaubwürdig, wenn weder deren Sprache übernommen wird noch deren Praktiken – wie das Infragestellen demokratischer Institutionen. Der Shitstorm gegen die Bundeswahlleiterin, die darauf hingewiesen hatte, dass es für eine Wahl nicht einfach nur Stift und Zettel braucht, ist das jüngste unrühmliche Beispiel.

Eins ist klar: Wenn Dumpfheit das Land bestimmt, wird nichts besser. Da nützt dann auch eine Neuwahl nichts.