Kommentar

Das Ende der Ampel öffnet die Chance für einen neuen Anfang

Jenseits des Krawalls in der Ex-Ampel und anspruchsvoller Forderungen einer Opposition gibt es erste Erkenntnisse für einen neuen Anfang, findet unser Autor.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). | © Kay Nietfeld/dpa

Thomas Seim
07.11.2024 | 07.11.2024, 18:06

In Krisenzeiten kann eine ruhige Hand gelegentlich helfen. Der Bundespräsident hat sie reklamiert: „Das Ende einer Koalition ist nicht das der Welt“, sagt Frank-Walter Steinmeier. Dort sind die Parteien indes noch nicht angekommen. Aber jenseits des Krawalls in der Ex-Ampel und anspruchsvoller Forderungen einer Opposition gibt es erste Erkenntnisse für einen neuen Anfang.

Erstens: Der Kanzler kann führen. Viel zu spät, sagen die einen, endlich die anderen. Jedenfalls darf Olaf Scholz in Anspruch nehmen, mit seiner Philippika das unerträgliche Gehampel einer ungeliebten Koalition beendet zu haben. Er hat damit den Störenfried Christian Lindner von einer offensiven Besserwisser-Haltung in die Defensive eines Verlierers katapultiert.

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Zweitens: Lindner hat sich im Polit-Poker verzockt. Erste Lautsprecher wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann machen alternativ auf sich aufmerksam. Nicht mal alle eigenen Minister folgten seinem Rausschmiss. Verkehrsminister Wissing verlässt die FDP, wie das einst 1982 nach einem Angriff auf den damaligen SPD-Kanzler, den Hamburger Helmut Schmidt, viele Liberale taten.

Der große Bremser ist weg

Drittens: Die Grünen um Vize-Kanzler Robert Habeck können aufatmen. Der große Bremser aller ihrer Projekte ist weg. Allerdings zahlen beide dafür den Preis, wieder fester an eine SPD gebunden zu bleiben. Das macht auch einen Kanzlerkandidaten Habeck eher schwächer.

Viertens: Das Gezeter der Union um schnelle Neuwahlen zum Wohle der deutschen Wirtschaft ist aus ihrer Sicht berechtigt. Es ist aber auch wohlfeil: Wenn Friedrich Merz für den Wechsel genügend Mut hätte, könnte er mit einem „Konstruktiven Misstrauensvotum“ sofort ins Amt kommen. Die Stimmen von Grünen, FDP und Union reichten aus. Wer sich auf das Wohl Deutschlands für schnelle Neuwahlen beruft, dürfte ein solches Risiko, das es sicher gibt, nicht scheuen. Der Wirtschaft wäre so schneller zu helfen – alternativ mit der Unterstützung der Wachstumsprogramme aus Lindners Haushalt.

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Fünftens: Die SPD wirkt noch ungläubig, aber zum ersten Mal gewährte sie ihrem Entscheider Scholz in der Bundestagsfraktion wieder stehende Ovationen. Ob das reicht, dem bisherigen Moderator Scholz genug Rückenwind für Neuwahlen zu geben – daran gibt es aber mehr als berechtige Zweifel.

„Unsere Demokratie ist stark“, sagt Steinmeier. Die Handelnden müssten nun der Größe der Herausforderungen gerecht werden. Die liegen sicher in einer Reform der Schuldenbremse zur Belebung der Wirtschaft sowie in der Flüchtlingskrise und nach der Wahl Trumps auch in einer neuen strategischen Ausrichtung auf europäische Eigenständigkeit bei der militärischen Sicherheit. Da reichen ruhige Hände nicht.

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