Neuordnung der Sicherheitspolitik

Kommentar: Die Debatte um US-Raketen in Europa muss geführt werden

Der Streit um den richtigen Weg ist das Recht des Parlaments in einer Demokratie. Eine Initiative zur Stabilisierung des Friedens jenseits von Rüstungsindustrie und Militärs ist dringend nötig.

Die Stationierung neuer US-Langstreckenraketen in Deutschland wird diskutiert. Zu solchen zählen etwa Marschflugkörper vom Typ Tomahawk. | © picture alliance / abaca

Thomas Seim
29.07.2024 | 29.07.2024, 16:48

Dass man über einen politischen Sommer ohne Streit kommt, darauf konnte die regierende Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP kaum hoffen. Einen ersten Streitversuch hat Bundesfinanzminister Christian Lindner nun abgeliefert, indem er den SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Rolf Mützenich, dafür kritisierte, dass der seinen Haushaltsentwurf immer wieder infrage stellt. Darüber hinaus ging er ihn auch dafür an, dass er die Stationierung neuer US-Langstreckenraketen problematisiere.

Nun sind beides sicher Themen, über die ein inhaltlicher Streit lohnt. Er mag den Mitgliedern einer Bundesregierung, der Exekutive, als Zweifel an ihren Entscheidungen nicht gefallen. Aber er ist das Recht der Parlamentarier in einer Demokratie. Und ihre Pflicht. Nicht ganz zu Unrecht mäkeln Kritiker vor allem des Kanzlers, dass er alles nur schönrede. Das zu oft nach innen gerichtete Beamtentum und das oft fehlende öffentliche Werben um Zustimmung sind sicher große Schwächen von Olaf Scholz. Das gilt auch dann, wenn manche kritische Formulierung zu Waffen und Schüssen sich nach dem Attentat auf den US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump im Ton vergreift und für ein ernst zu nehmendes politisches Urteil disqualifiziert.

In der Sache ist das Management des Westens gegen den verbrecherischen russischen Angriffskrieg in der Ukraine durchaus eine offene Debatte wert. Sie ist sogar zwingend, wenn man die Unterstützung der Mehrheit der demokratischen Mitte nicht verlieren will. Man ist als Beobachter ohnehin leicht verblüfft darüber, wie still die Friedensbewegten halten, die im Bonner Hofgarten zu Hunderttausenden in den 1980er-Jahren gegen solche US-Waffen demonstrierten. Viele von ihnen sind damals zu den frisch gegründeten Grünen gegangen.

Die Furcht vor einem Atomkrieg durch die Nachrüstung trieb 1982 so viele Menschen auf die Straße wie nie zuvor in der Nachkriegszeit. Die Kundgebung im Bonner Hofgarten und die Demonstrationen gegen die Raketen fassten mehr als 350.000 Menschen. - © picture alliance / Klaus Rose
Die Furcht vor einem Atomkrieg durch die Nachrüstung trieb 1982 so viele Menschen auf die Straße wie nie zuvor in der Nachkriegszeit. Die Kundgebung im Bonner Hofgarten und die Demonstrationen gegen die Raketen fassten mehr als 350.000 Menschen. | © picture alliance / Klaus Rose

Nicht unberechtigt hat einen solchen Streit um den richtigen Weg im Blick auf die Stationierung der US-Waffen nun der frühere SPD-Vorsitzende und Außenminister Sigmar Gabriel gefordert. Einer seiner Nachfolger als Parteichef, Norbert Walter-Borjans, hat dies mit dem Erhard-Eppler-Kreis ebenfalls getan.

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In dieser Woche springen sehr viele Sozialdemokraten Mützenich bei. Gabriel wird als Vorsitzender der Atlantik-Brücke wohl eher bei dessen Gegnern zu finden sein. Und tatsächlich ist die Lage vor gut 40 Jahren mit der heutigen nicht vergleichbar. Wohl aber erwarten beide Seiten, dass es eine Initiative zur Stabilisierung des Friedens jenseits von Militärs und Rüstungsindustrie gibt. Im vergangenen Jahrhundert geschah dies auf einem Waldspaziergang von russischen und amerikanischen Unterhändlern.

Es wäre Zeit für eine neue Initiative, bevor die Blätter fallen. Dann würde auch die Debatte der Ampel kein Streit um Besserwissen und Durchsetzen sein, sondern in die Zukunft weisen.