Gute Außenpolitik wirkt über den Tag hinaus. Sie arbeitet nicht nur an der Beziehung zwischen zwei Regierungen, sondern nimmt immer auch etwas viel Größeres in den Blick: die Beziehung zwischen zwei Völkern.
In diesem Sinn hat Frank-Walter Steinmeier beim Auftakt seiner dreitägigen Türkei-Reise alles richtig gemacht. Statt wie üblich zuerst zum Palast des autokratischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nach Ankara zu eilen, nahm sich der Bundespräsident Zeit für einen entspannten Aufenthalt in der weltoffenen Metropole Istanbul. Dort drehte er nicht nur einen Döner-Spieß und witzelte über „das deutsche Nationalgericht“. Steinmeier traf Oppositionelle, zum Beispiel Ekrem Imamoglu, den populären Bürgermeister der 15-Millionen-Metropole. In dem 52-jährigen Erdogan-Gegner sehen viele schon den künftigen Präsidenten der Türkei.
Wird Erdogan sich darüber ärgern? Gewiss. Doch Erdogan wird erleben, dass in nächster Zeit auch andere Staaten mehr Nähe zur Opposition in der Türkei demonstrieren werden. Allzu lange hat die gesamte EU immer nur auf Erdogan gestarrt und seine immer neuen, oft exzentrischen Zuckungen.
Erdogan verliert weiter an Rückhalt
Eine Neuausrichtung ist nicht Ausdruck eines naiven Idealismus. Sie ist Realpolitik. Die jüngsten Kommunalwahlen in der Türkei am 31. März haben eindrucksvoll gezeigt, dass Erdogan und seine nationalreligiöse AKP weiter an Rückhalt verlieren, quer durchs Land, nicht nur in liberalen Metropolen wie Istanbul und Izmir. Sogar in ländlichen Gegenden öffnen sich immer mehr Türkinnen und Türken neuerdings dem Gedanken, dass es Zeit sein könnte, ein neues Kapitel aufzuschlagen.
Diese neuen Stimmungen und Strömungen jetzt zu unterstützen, ist für Deutschland, für Europa und übrigens auch für die USA ein Gebot der Stunde – aus ethischen wie aus strategischen Gründen.