Richtungsstreit in der Ampel

Das Risiko einer Wende-FDP

Mit einem Zwölf-Punkte-Papier mahnen die Liberalen eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit an – und hauen kräftig auf den Tisch der Ampel-Koalition. Das imponiere nicht mal dem Tisch, zitiert unser Autor in seinem Kommentar Alt-Kanzler Willy Brandt.

FDP-Chef Christian Lindner. | © Ann-Marie Utz

Thomas Seim
22.04.2024 | 23.04.2024, 10:15

Da hat die FDP ja mal so richtig auf den Tisch gehauen in der Ampel-Koalition. Nicht weniger als eine „Wirtschaftswende“ verlangen die Liberalen in einem Zwölf-Punkte-Papier. Ihr Ziel ist es, die deutsche Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und den Wohlstand in Deutschland zu sichern, sagen sie. Die erste Frage allerdings, die das Papier aufwirft, lautet: Für wen? Für Bürgergeld-Empfänger und Frührentner jedenfalls deutet sich dort keine Verbesserung der Lage an. Dagegen könnten sich Unternehmen und Spitzenverdiener auf eine deutliche Aufstockung ihrer Einkünfte und Abschreibungsgewinne freuen.

Jede Partei hat das Anrecht auf ein eigenes Profil, auf die Artikulierung von Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler. Aber welches Profil will die FDP für sich in Anspruch nehmen? Das eines klassischen Liberalismus als Fortschrittsbewegung des Bürgertums jedenfalls ist es nicht. Eher schon ist es die Rückwärtswende zu einem Neoliberalismus, der inzwischen auch in nahezu allen verantwortlichen Management-Etagen der deutschen Unternehmen als ewiggestriges Konzept der Ideenlosigkeit beschrieben wird.

Wenn es also ein wirtschaftlich zweifelhaftes Dokument ist: Was ist dann das politische Ziel? Es gibt das Vorbild eines Scheidungspapiers von Otto Graf Lambsdorff, das vor 42 Jahren zu einem Koalitionsbruch der Liberalen mit der SPD führte und das Land mit einem Kanzler Helmut Kohl in eine geistig-moralische Wende. Aktuell aber gibt es für einen Kanzlerwechsel durch konstruktives Misstrauensvotum keine Mehrheit – schon gar nicht, wenn als Alternative Friedrich Merz gegen Olaf Scholz antreten müsste. Es wäre auch keine Wende nach vorn, sondern eine Art Zurück in die Zukunft, das in der Wirtschaft niemand will.

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Es gibt Anzeichen, dass die klügeren Denker innerhalb und außerhalb der Partei das sehen. Ihr Generalsekretär Djir-Sarai ruderte nach Forderungen aus der Union und dem Bündnis Sahra Wagenknechts nach Neuwahlen vorsichtig mit dem Hinweis zurück, dass es sich nur um einen Leitantrag für den FDP-Parteitag handle und nicht um ein Koalitionsdokument. Und BDI-Präsident Russwurm mahnte, der aktuellen Koalition blieben noch knapp eineinhalb Jahre. Das klingt nicht nach dem vorzeitigen Ende der Ampel.

In knapp sieben Wochen gibt es auch eine Wahl, die zum Europaparlament. Es sieht sehr danach aus, als würde die FDP mit der Spitzenkandidatin Agnes Strack-Zimmermann nur ein sehr schwaches Ergebnis erzielen. Da gilt der alte Satz des ersten Kanzlers eines Bündnisses der SPD mit klassischen Liberalen über das Auf-den-Tisch-Hauen, Willy Brandt: „Das imponiert nicht mal dem Tisch!“