Kommentar

Deshalb sollte die Schuldenbremse auch 2024 ausgesetzt werden

Nicht jede staatliche Ausgabe sollte über Kredite finanziert werden, meint unser Autor. Die Aussetzung der Schuldenbremse hält er für richtig - auch im kommenden Jahr.

Das Bundeskabinett hat nach dem Karlsruher Haushaltsurteil einen Nachtragshaushalt für 2023 beschlossen. | © dpa

Andreas Niesmann
28.11.2023 | 28.11.2023, 07:48

Schulden sind nicht gleich Schulden - im Privaten ist das leicht zu verstehen. Ein Darlehen zur Finanzierung einer selbst genutzten Immobilie ist eine sinnvolle Sache – sofern das Objekt nicht überteuert ist, und die Darlehensnehmer die monatlichen Raten für Zins und Tilgung bedienen können. Schulden sind in diesem Fall ein Mittel zum Vermögensaufbau.

Anders ist die Sache bei Konsumentenkrediten. Wer sich den Anschaffungspreis eines neuen Fernsehers, einer Stereo-Anlage oder eines Kaffee-Automaten nur mittels Ratenfinanzierung leisten kann, sollte lieber die Finger davonlassen – selbst wenn das monatliche Einkommen für das Abstottern reichen mag. Unnötigen Konsum auf Pump zu finanzieren, ist der direkte ein Weg in die Schuldenfalle. Es gibt also gute und schlechte Schulden.

Was für Privatleute gilt, ist beim Staat nicht anders. Konsum auf Kredite zu finanzieren, ist eine schlechte Idee. Sozialleistungen, Kulturförderung, Gesundheitswesen und Verwaltung sollte eine Gesellschaft aus ihren laufenden Einnahmen bestreiten können, andernfalls kommt es früher oder später zum Crash. Umgekehrt gilt, dass Investitionen in die staatliche Infrastruktur durchaus per Kredit finanziert werden können, da ihnen konkrete Werte in Form von Straßen, Brücken oder Gebäuden gegenüberstehen.

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Ein Überblick über das Dilemma des Haushalts

Man muss an diesen Unterschied erinnern, denn seit das Bundesverfassungsgericht am vorvergangenen Mittwoch den Versuch der Ampel-Koalition zur Umgehung der Schuldenbremse gestoppt hat, stehen sich in der öffentlichen Debatte zwei Lager unversöhnlich gegenüber. Die eine Seite verweist auf öffentliche Rekordeinnahmen und pocht darauf, dass die Regierung nun endlich einmal sparen solle. Die andere warnt vor einer Rezession, die durch ausbleibende Staatsausgaben ausgelöst werden könnte.

Uneingeschränkt richtig ist keine der beiden Positionen. Wahr ist, dass der deutsche Staat in den zurückliegenden Jahren viel zu wenig investiert hat. Straßen, Schienen und Schulen wurden auf Verschleiß gefahren. Es wird viele Milliarden kosten, diesen Investitionsstau wieder aufzulösen. Die ausgeglichenen Haushalte hatten einen hohen Preis – der nun bezahlt werden muss.

Gleichzeitig stimmt, dass in der Vergangenheit vor allem die Großen Koalitionen die eingesparten Infrastruktur-Mittel mit vollen Händen an anderer Stelle ausgegeben haben. Mütterrente, Grundrente, Rente mit 63, Baukindergeld, Kindergelderhöhung – wenn es darum ging, die eigene Klientel zu befriedigen, waren Union und SPD ausgesprochen kreativ. Schwarze wie Rote haben sich in den guten Jahren vor allem um das Verteilen und nicht um das Erwirtschaften des Wohlstands gekümmert.

Aussetzung der Schuldenbremse auch für 2024 wichtig

Die Ampel-Koalition muss diese Versäumnisse nun ausbaden – mit dem Unterschied, dass die wirtschaftlich guten Jahre vorbei sind, und dass ihr durch den Karlsruher Richterspruch auch noch das wichtigste Finanzierungsinstrument abhandengekommen ist.

An einer ehrlichen Bestandsaufnahme führt nun kein Weg vorbei. Welche Ausgaben sind verpflichtend? Welche zentral für die Zukunft? Welche verzichtbar? Am Ende einer solchen ehrlichen Bilanz wüsste Regierung, ob sie mit Steuereinnahmen und Kreditrahmen der Schuldenbremse auskommt, oder ob sie weitere Finanzierungsquellen braucht.

Eine solche Eröffnungsbilanz allerdings wird sich niemals in den zwei Wochen erstellen lassen, die bis zur Verabschiedung des Haushalts für das kommende Jahr noch bleiben. Für 2024 wäre deshalb eine abermalige Aussetzung der Schuldenbremse der richtige Weg. Als Haushaltssanierer kann sich Finanzminister Christian Lindner auch noch im Wahljahr 2025 beweisen. Dann aber wirklich.