Kommentar

AfD gewinnt Landratswahl: Was auf den Dammbruch von Sonneberg folgen muss

Zum ersten Mal ist ein AfD-Kandidat bei einer Stichwahl um ein kommunales Spitzenamt siegreich. Er wird nicht der letzte bleiben. In Sonneberg ist die Abwehrpolitik der demokratischen Parteien gegen die AfD gescheitert. Was nun folgen muss, ist ungleich mühsamer, kommentiert unser Autor.

Wahlvorsteher Silvio Werner leert eine Wahlurne mit Stimmzetteln. In der Stichwahl ist der AfD-Abgeordnete Robert Sesselmann gegen Jürgen Köpper (CDU) angetreten. | © Martin Schutt/dpa

Jan Sternberg
25.06.2023 | 25.06.2023, 20:13

Das war der Dammbruch. Ein Debakel mit Ansage. Zum ersten Mal hat die AfD eine Stichwahl um ein kommunales Spitzenamt gewonnen. Der 54.000-Einwohner-Landkreis Sonneberg in Südthüringen wird künftig von einem engen Weggefährten des Rechtsextremen Björn Höcke regiert.

Robert Sesselmann (AfD) steht im Garten des Restaurants Frankenbaude bei der AfD-Wahlparty. - © Martin Schutt/dpa
Robert Sesselmann (AfD) steht im Garten des Restaurants Frankenbaude bei der AfD-Wahlparty. | © Martin Schutt/dpa

Die Rechtspartei wird das symbolische Kapital ihres Sieges nutzen, um einen Führungsanspruch für Thüringen und den gesamten Osten einzufordern. Sie hat jetzt eine Basis, von der aus sie ihre Wahlkämpfe in ungleich wichtigeren Abstimmungen führen kann.

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2024 wird in Sachsen, Brandenburg und Thüringen gewählt. Die AfD kann in allen drei Ländern mit Rekordergebnissen rechnen, die diese Länder an den Rand der Unregierbarkeit bringen könnten.

Sonneberg ist nur der Anfang

Sonneberg ist nur der Anfang. Schon kommendes Wochenende könnte es weitergehen: Bei der Stichwahl zum Bürgermeisteramt von Raguhn-Jeßnitz bei Bitterfeld in Sachsen-Anhalt ist der AfD-Kandidat wieder Favorit. Der Landtagsabgeordnete Hannes Loth bekam in der ersten Runde mehr als 40 Prozent.

Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz haben zweierlei gemeinsam: In Berlin und Westdeutschland werden die Wenigsten von diesen Orten gehört haben, selbst in ihren Bundesländern sind sie Peripherie. Aber sie gehören zu den Orten, die sich seit 2015 zu regionalen Protest-Hotspots entwickelten. Erst demonstrierten Einwohner und auswärtige AfD-Prominenz gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel, dann gegen die Corona-Maßnahmen, gegen die Unterstützung der Ukraine, die Energiepreise - und irgendwann gegen alles, was mit „denen da oben“, „den Politikern“ und den Bewohnern der urbanen Zentren zu tun hatte. Energiewende, Gendern und immer wieder Migration.

Die AfD vor Ort und die Verschwörungserzähler in den sozialen Netzwerken haben Frust und Wut über Jahre geschürt, genährt und nun zur Reife gebracht. Die politisch Verantwortlichen, vor allem im Bund, machten es ihnen einfach durch schlechtes Handwerk und ungenügende Kommunikation.

Ein Abwehrwahlkampf gegen die AfD zündet nicht mehr

Das Vertrauen in die Demokratie, in die Lösungsfähigkeiten von Politik, hat so stark gelitten, dass die Abwehrkräfte geschwunden sind - bei weitem nicht nur im Osten. Eine Partei, die jeden Tag die Demokratie und die Werte dieses Staates verhöhnt, wird von immer mehr Menschen für wählbar gehalten.

Noch vor zwei Jahren fuhr Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) ein Rekordergebnis ein, mit einem Wahlkampf, der vor allem eine Warnung vor der AfD war. Doch die alte Strategie zieht nicht mehr. Die AfD-Erfolge sind zur Normalität geworden, die Landeschefs Michael Kretschmer, Dietmar Woidke und Bodo Ramelow sind in der Defensive. In Berlin ebenso wie in Dresden, Potsdam und Erfurt müssen die Regierenden jetzt dringend Antworten finden.

Ein Teil der Wählerinnen und Wähler ist im vierten Jahr eines krisenhaften Ausnahmezustands rationalen politischen Argumenten nicht mehr zugänglich; ihnen muss und darf man nicht nachrennen. Ein größerer Teil sehnt sich nach rational erklärter, konstruktiver Politik. Kein Populismus. Kein Kulturkampf. Einfach Lösungen. Diese Menschen müssen endlich gehört werden.