
Am Ende eines Koalitionsstreits oder gar einer Krise stellt sich stets die Frage nach dem Sieger. Wer also hat sich mit dem Beschluss der Ampel-Regierungsspitze durchgesetzt, dass alle drei Atomkraftwerke bis zum April weiter in Reservestellung bleiben sollen, um notfalls Strom ins Netz zu liefern?
FDP-Parteichef Christian Lindner darf für sich in Anspruch nehmen, dass er gegen den Willen der Grünen – erst am Wochenende dokumentiert durch einen mächtigen Parteitagsbeschluss der Öko-Partei – den Zugang zur Atomkraft als Garanten für die Energieversorgung offenhält. Allerdings hat er dafür auch einen Preis zahlen müssen. Anders als vom liberalen Finanzminister gefordert, ist der Weiterbetrieb aller drei Kraftwerke auf Mitte April 2023 begrenzt. Lindner hat zugestimmt.
Für Vize-Kanzler Habeck lautet die Bilanz umgekehrt. Er hat es zwar geschafft, den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken über 2024 hinaus – wie von Lindner gefordert – zu verhindern. Allerdings muss er dafür einen sehr hohen Preis bezahlen. Die Öffnungsklausel für das AKW im Emsland lastet schwer auf den Schultern des Grünen aus dem Nordland Schleswig-Holstein. Vor dem Hintergrund der Verpflichtung aus den Beschlüssen seiner Partei am Wochenende muss man gespannt sein, wie heftig die Reaktionen dort - auch um den Niedersachsen und früheren rot-grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin - sein werden. Sicher kann man schon jetzt sagen: Sie werden heftige Spuren im Bewusstsein der Öko-Partei und ihres Anführers in der Regierung hinterlassen.
Bundeskanzler Scholz und große Teile der SPD waren schon seit einiger Zeit auf dem Weg zu einer entspannteren Haltung in der Atomfrage. Auch wenn sie inhaltlich eher bei den Grünen stehen, haben die Sozialdemokraten sehr früh ein Signal in Richtung Pragmatismus und Kompromissfähigkeit gesendet. Ihnen kam zugute, dass sich auch draußen im Land – zuletzt sogar bis an die Spitze der Öko-Bewegung – die Haltung zum vorübergehenden Weiterbetrieb der Atomkraft entspannt hat.
Scholz hat einen Trumpf gezogen, der nur ihm im Kanzleramt zusteht und der zugleich – ganz unabhängig von Erfolg und Zufriedenheit von Grünen und FDP – seinen Koalitionspartnern die Last der Eigenverantwortung genommen hat: Der Bundeskanzler machte von seiner Richtlinienkompetenz nach Artikel 65 des Grundgesetzes Gebrauch. Wer bei ihm Führung bestelle, hat Scholz einst vernehmen lassen, bekomme sie auch.
Vor allem der CDU-Oppositionsführer Merz versuchte immer wieder, das mit Zweifeln zu überziehen. Nun hat Olaf Scholz geliefert. Auch als Kanzler.