Neu im Kino

Rezension: "Gretel und die dunkle Seite der Macht"

Der Klassiker der Brüder Grimm als Horrorfilm: „Gretel und Hänsel“ kommt feministisch daher. Oder doch nicht?

Gretel (Sophie Lillis) sucht Hänsel. | © Patrick Redmond

Anke Groenewold
08.07.2021 | 17.12.2021, 11:02

Bielefeld. „Der König hat Angst, und die sollte er auch haben, denn die Königin kann tun, was immer sie will", erfährt die 16-jährige Gretel beim Schachspiel von Holda. Die alte Frau hat Gretel und ihren achtjährigen Bruder Hänsel aufgenommen und die von der eigenen Mutter Verstoßenen vor dem Verhungern gerettet.

Die misstrauische Gretel ist fasziniert. Zwar weiß sie, dass in diesem Haus im Wald etwas nicht stimmt. Andererseits will Gretel wie die alte Frau selbstbestimmt leben, Armut, Perspektivlosigkeit und Ohnmacht hinter sich lassen.

Gretel muss Last Hänsel abschütteln

Sie will Macht – über das eigene Schicksal, vielleicht sogar über das anderer. Sie müsse nur ihre Last abschütteln, flüstert Holda ihr ein: Hänsel. Denn auch kleine Kiesel könnten am Vorankommen hindern. Hänsel schwingt derweil die Axt und attackiert Bäume.

In ihrer Neuinterpretation des Märchens „Hänsel und Gretel" stellen Regisseur Osgood Perkins, Sohn des „Psycho"-Stars Anthony Perkins, und Drehbuchautor Rob Hayes Gretel in den Mittelpunkt.

Gretel geht ihren Weg

Ein Teenager rüstet sich für die „große, böse Welt". Gretel erfährt (Vertrauens-)Verlust, Not, Gefahr, Versuchungen, richtet ihren moralischen Kompass aus und geht ihren Weg – mit überraschendem Ausgang.

Moderne Architektur im Wald: Zum Anknabbern ist dieses Knusperhäuschen nicht, aber drinnen bekommen Hänsel und Gretel von der gruseligen Holda Leckeres aufgetischt. - © Patrick Redmond
Moderne Architektur im Wald: Zum Anknabbern ist dieses Knusperhäuschen nicht, aber drinnen bekommen Hänsel und Gretel von der gruseligen Holda Leckeres aufgetischt. | © Patrick Redmond

Stimmig ist dieser seltsame Film auf der visuellen Ebene. Gedreht im herbstlichen Irland, ist „Gretel und Hänsel" ein atmosphärisch beklemmender und lichtarmer Alptraum mit malerisch düsteren Bildern. Sie erzeugen stetes Unbehagen. Leider dröhnt der Synthesizer-Soundtrack oft störend. Auch Gretels Kommentare sind entbehrlich.

Inhaltlich unausgegorener Film

Inhaltlich bleibt der Film unausgegoren und an der Oberfläche. Bedeutsamkeit wird eher suggeriert als geliefert. Es geht um weibliche Selbstermächtigung, es könnte aber auch der Eindruck entstehen, dass die emanzipierte Frau monströs, in der harmloseren Variante abgebrüht ist.

Holdas Geschichte wird durch ein „Märchen im Märchen" beleuchtet. Die kommt aber zu spät, zu hastig und wirft Fragen auf.

Die 18-jährige Sophie Lillis („Es") ist eine kraftvolle Gretel. Alice Krige, die als Königin der Borg schon „Star Trek"-Captain Picard das Fürchten lehrte, erzeugt als Holda mit feinem und leisem Spiel Gänsehaut. Mit Schwächen, aber sehenswert.

Der Film (ab 16 Jahre) läuft ab 9. Juli in Bielefeld (Cinemaxx), Herford (Capitol), Filmwelt Lage und Paderborn (Pollux).