
Bielefeld. Es ist ein perfider Plan: Ein Ganove, der sich als Graf ausgibt, will sich bei einem Mann einschleichen, der mit seiner Nichte zurückgezogen auf einem herrschaftlichen Landsitz lebt. Die junge Frau will er umgarnen, sie heiraten, ihr Erbe einstreichen und sie dann in der Psychiatrie abliefern.
Eine Taschendiebin wird seine Komplizin. Sie heuert bei dem Opfer als Dienstmädchen an und soll helfen, den Coup vorzubereiten. Auch sie soll vom Betrug profitieren.
Der koreanische Regisseur, der für seine Filme „Oldboy" und „Durst" in Cannes ausgezeichnet wurde, verlegt einen im viktorianischen England spielenden Roman von Sarah Waters in das unter japanischer Kolonialherrschaft stehende Korea der 1930er Jahre. Das Ergebnis ist überwältigend. „Die Taschendiebin" ist ein hochspannender erotischer Thriller, eine Liebesgeschichte mit überraschenden Wendungen und Perspektivwechseln.
Die Vorlage
- Sarah Waters’ dritter Roman „Solange du lügst" („Fingersmith" im Original), erschienen 2002, diente als Grundlage für „Die Taschendiebin".
- Die 50-jährige Waliserin lässt die Geschichte im viktorianischen England spielen. Das Buch wurde für den Man Booker Prize und den Orange Prize nominiert.
- Der Thriller wurde bereits einmal verfilmt: 2005 von der BBC mit Sally Hawkins und Elaine Cassidy in den Hauptrollen.
- Drei weitere ihrer bis dato sechs Romane wurden verfilmt, eine fünfte Verfilmung ist in Arbeit.
- Auch für die Bühne wurden mehrere ihrer preisgekrönten Romane adaptiert.
Angesichts der meisterhaft komponierten Bilder darf man sich glücklich schätzen, dass es noch große Kinoleinwände gibt, auf denen sich dieser Zauber entfalten kann.
„Die Taschendiebin" ist jedoch kein klobiger Historienstreifen, sondern ein intimes, filigranes Kammerspiel, in dem große Tableaus ebenso ihre Wirkung entfalten wie Nahaufnahmen, die feinste Regungen der Figuren zeigen.
Der Film ist zweieinhalb Stunden lang und trotzdem kurzweilig. Er ist ruhig, raffiniert und modern erzählt. Die Kameraführung ist virtuos.
Der Hauptschauplatz, ein verschachteltes, düsteres Herrenhaus, verleiht dem Film eine schaurige Note. Das Besondere: Es ist zur Hälfte ein Anwesen, wie es auch in England stehen könnte, zur Hälfte japanisch. So wie das Haus zeigt auch der Film Gegensätze: Schönes und Hässliches, Zartes und Grausames. Dienerin Sookee (Kim Tae-ri), gleichermaßen skrupellos wie unsicher in dem hochherrschaftlichen Milieu, hält ihr Opfer für eine leicht zu betrügende Naive. Lady Hideko (Kim Min-hee) ist eine schöne, traurige Frau mit unruhigem Schlaf.
Ehrgeizig arbeitet Sookee daran, ihre Herrin zu belauern und deren Fall voranzutreiben. Was sie in einen Zwiespalt treibt, als sie Gefühle für Hideko entwickelt – und umgekehrt. Sensibel inszeniert der Regisseur die Erotik der Gesten und Blicke, zeigt aber auch einige explizite Sexszenen. Denkbar, dass Chan-wook so auch die Zuschauer zu Voyeuren machen will, ist das Beobachten doch ein großes Thema des Films.
Eine Stunde lang folgt der Zuschauer dem Blick der Dienerin, macht es sich bequem in dieser anfangs so glasklar scheinenden Geschichte einer Täuschung. Doch dann nehmen die Ereignisse eine verblüffende Wendung. Die Geschichte beginnt von vorn, aus anderer Perspektive, mit neuen Enthüllungen und Überraschungen. Ein glänzendes Verwirrspiel, das die Frage aufwirft, wer hier eigentlich wen täuscht.
Dunkle Geheimnisse werden gelüftet. Hidekos Onkel ist nicht nur ein schroffer Buchsammler und -händler, der mit tintenschwarzer Zunge in seiner Bibliothek haust. Er ist ein Sadist mit Folterkeller. Hideko zwingt er, erotische Literatur vor männlichem Publikum vorzulesen, um sein Geschäft anzukurbeln.
Der Film feiert den Befreiungsschlag zweier Frauen, die sich männlicher Macht und Unterdrückung widersetzen und Rache üben. Die symbolkräftige hölzerne Kobra, die der Onkel aus dem Boden schnellen lässt, um den Frauen einen Schreck einzujagen, wird am Ende geköpft.
Und ja, Humor hat der Film auch.