
Bielefeld. Den Oscar hat in diesem Jahr ein anderer Film bekommen. „A War" war nominiert und hätte ihn auch verdient gehabt. Autor und Regisseur Tobias Lindholm ist ein kluger, betont ruhig erzählter Film gelungen, der einfühlsam, aber auch angenehm kühl erforscht, was der Krieg mit den Menschen macht: Womit sind sie konfrontiert, wie handeln sie und wie wirkt sich das auf ihr Leben aus?
Das Besondere ist, dass Lindholm den distanziert beobachtenden Blick nicht nur auf den dänischen Kommandanten Claus Pedersen (Pilou Asbæk) in Afghanistan richtet. Er räumt Pedersens Familie daheim in Dänemark ebenso viel Platz ein.
Dort versucht Claus’ zupackende und tapfer um eine optimistische Haltung ringende Frau Maria (Tuva Novotny), den Alltag mit drei Kindern und Job allein zu bewältigen. Sie stößt dabei ebenso an ihre Grenzen wie ihr Mann. Besonders gefordert ist sie, weil sich einer ihrer Söhne auffällig störrisch verhält. Die Abwesenheit des Vaters belastet auch die Kinder.
Echte Soldaten unter den Schauspielern
Regisseur Lindholm geht diesem Strang der Erzählung mit der gleichen Sorgfalt, dem gleichen Gespür für Details und Stimmungen nach wie dem Afghanistan-Strang.
Lindholm wählt eine rein dänische Perspektive. Er nimmt sich Zeit, die Zuschauer mitzunehmen in den von Anspannung und Ängsten geprägten Alltag der Soldaten, die in der afghanischen Provinz stationiert sind. Nur drei professionelle Schauspieler sind hier am Start. Den Rest der Einheit verkörpern echte Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz waren.
Es beginnt mit einer Patrouille. Ein Soldat tritt auf eine Landmine und stirbt. Pedersen sieht sich gezwungen, seiner verstörten Truppe noch einmal den Sinn ihres Einsatzes in Erinnerung zu rufen, den Lindholm im Film nicht weiter zum Thema macht: die Bevölkerung vor den Taliban zu schützen und dafür zu sorgen, dass die Menschen in Freiheit leben könnten. Aber wer ist Freund, wer ist Feind? Der besonnene Pedersen muss zwischen Mitgefühl und Misstrauen Entscheidungen treffen.
Erste Hilfe leistet seine Truppe bei einer afghanischen Familie. Ein kleines Mädchen ist verletzt. Pedersen bietet dem Vater an, er könne ins Lager kommen, wenn er Hilfe brauche. Wenig später bittet die Familie um Aufnahme. Die Taliban haben gedroht, sie zu töten. Pedersen zeigt Verständnis. Und weist die Familie ab. Er schickt sie in ihr Dorf zurück und verspricht, dort für ihren Schutz zu sorgen.
Ein Film, in dem kein Wort zu viel fällt
Eine erste fatale Entscheidung, die eine zweite nach sich zieht. Denn als Pedersen und seine Einheit am nächsten Morgen im Dorf ankommen, werden sie von Taliban angriffen. Um seine Männer zu retten, lässt er ein Haus bombardieren, ohne zu wissen, wer sich darin befindet. Elf Frauen und Kinder sterben.
Pilou Asbæk
- Der 34-Jährige wurde hierzulande bekannt in der Politserie „Borgen", in der er den Berater der Politikerin Birgitte Nyborg spielte.
- Sein Kinodebüt feierte er 2010 in dem Gefängnisdrama „R", ebenfalls von Tobias Lindholm.
- Seine Karriere hat international Fahrt aufgenommen. Aktuell tritt er in der 6. Staffel der Serie „Game of Thrones" als Euron Graufreud auf
- Ab 1. September ist er als römischer Kaiser Pontius Pilatus in „Ben-Hur" im Kino zu sehen.
Pilou Asbæk ist ein feinnerviger Darsteller, der mit minimalistisch präzisem Spiel erzählt, wie es hinter der stoischen Fassade dieser Figur brodelt, wie Pedersen mit sich selbst und seinen Entscheidungen ringt. Überhaupt ist „A War" ein Film, in dem kein Wort zu viel fällt. Lindholm lässt Bilder erzählen und setzt auf seine Darsteller.
Höchste innerliche Zerrissenheit zeigt Asbæk in der zweiten Hälfte des Films, die zum packenden Gerichtsdrama wird. Pedersen ist sich seiner Schuld bewusst, aber was wird aus seiner Familie, wenn er ins Gefängnis muss?
Der Regisseur betont, dass es ihm nicht um Verurteilung geht, sondern um Verständnis. Das ist die Stärke von „A War": Der Film regt an, sich in die Figuren hineinzuversetzen und sich zu fragen: Wie würdest du handeln?