
Bielefeld. Städte üben seit jeher enorme Anziehung auf die Menschen aus. Mehr als die Hälfte der Erdbevölkerung lebt inzwischen in ihnen. Bis 2050 soll der Urbanisierungsgrad auf 70 Prozent steigen. Dieser Erfolg bringt die Siedlungsform Stadt an ihre Grenzen. Viele Megacitys drohen schon jetzt in Smog und Verkehrsstau unterzugehen. Klimawandel und der steigende Meeresspiegel bringen nicht nur beliebte Touristenziele wie Venedig, Miami oder New York in Bedrängnis.
Mit faszinierenden Satellitenaufnahmen wirft der Band „Cities – Brennpunkte der Menschheit" Schlaglichter auf Städte rund um den Globus. Eine Geschichte von Aufstieg und Niedergang, von erfolgreicher und gescheiterter Anpassung an natürliche Einflüsse, an kulturelle, wirtschaftliche und politische Entwicklungen.
- Eine weltweit einheitliche Definition, was eine Stadt ausmacht, gibt es nicht. Die Ergebnisse mancher Rankings variieren daher.
- Mexico-Stadt gilt allgemein mit 20,1 Millionen Einwohnern als größte Stadt der Welt, gefolgt von Peking (20 Mio.) und Shanghai (19 Mio.)
- Tokio ist mit 37,3 Millionen Einwohnern größte Metropol-Region.
- Berlin (3,4 Mio., Platz 59), Hamburg (1,7 Mio., Platz 138) und München (1,4 Mio., Platz 195) sind die größten deutschen Millionenstädte.
- Als älteste Stadt der Welt gilt Tell Brak in Syrien (4.500 Jahre v. Chr.), gefolgt von Uruk im Irak (3.500 Jahre v. Chr.).
- Jericho im Westjordanland (ab 9.000 v. Chr.) galt lange als älteste Stadt, erfüllt aber einige Stadt-Kriterien nicht.
„Städte sind lebenden Organismen ähnlich – sie wachsen, wirken auf ihr Umfeld und werden von ihm beeinflusst, sie erleben gute und schlechte Zeiten und verschwinden nicht selten auch wieder von der Landkarte", schreibt das Autorenteam Markus Eisl (Physiker), Gerald Mansberger (Fernerkundungsexperte), Peter Matzanetz (Raumplaner) und Paul Schreilechner (Biologe) im Kapitel „Dynamik von Städten".
Wie eine abstrakte Zeichnung wirkt Chinguetti aus der Luft, eine mauretanische Stadt im Westen der Sahara: Häuser und Palmen versinken im Sand. Viele Jahrhunderte war Chinguetti wichtiger Handelsstützpunkt. Dann machte der globale Handel die Karawanenrouten überflüssig und die Wüste breitete sich in einer grandiosen Palette von Brauntönen in die Stadt aus.
Die auf dem Satellitenbild verdichteten Häusermassen von São Paulo sehen wie ein gigantischer, plattgetretener Kaugummi aus. Mit über 21 Millionen Einwohnern zählt die brasilianische Metropole zu den größten Städten der Erde. Dieser kaum strukturierte Stadt-Moloch symbolisiert die rasante Urbanisierung und ihre Kehrseite, Armut und Kriminalität. Mit dem ungehemmten Wachstum kann die Stadtplanung São Paulos längst nicht mehr nicht Schritt halten. Ein Viertel der Menschen lebt in Elendsquartieren. Umweltverschmutzung, Lärmbelästigung, Versorgung mit Energie und Wasser, Müll- und Abwasserentsorgung bereiten große Probleme.
Das Erscheinungsbild der meisten Städte ist Ergebnis eines Wechselspiels zwischen unorganisierter Expansion und zentraler Planung. Barcelona ist Paradebeispiel für eine geordnete Erweiterung des historischen Stadtkerns zu einer Planstadt. Das harmonische Nebeneinander von unsymmetrischen Altstadt-Wohnblöcken und quadratisch gerasterten neuen Quartieren hat, wie viele der Bilder in diesem Band, auch einen hohen grafischen und ästhetischen Reiz.
Sfax, mit 330.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Tunesiens, gleicht einem gigantischen Spinnennetz. Die Straßen verlaufen vom alten Zentrum aus sternförmig nach außen und verbinden sich dort mit Ringstraßen.
Am Reißbrett entworfene Städte wirken wie Kunst
In amerikanischen Städten ist das autofreundliche Schachbrettraster weit verbreitet. Das streng geometrisch eingeteilte Phoenix mutet daher aus dem All an wie die die Aufnahme eines Mikrochips.
Die Bilder aus dem All – Deutschland ist mit Berlin, Hamburg, Ludwigshafen und Karlsruhe vertreten – lassen Adern und Organe des Lebewesens Stadt wie bei einer Röntgenaufnahme hervortreten: die Hauptstraßen, Bahnhöfe, Flughäfen, Häfen, die grünen Lungen. Die meisten Bilder stammen vom Satelliten Pleiades des europäischen Unternehmens Airbus, einem der führenden Hersteller und Betreiber von Erdbeobachtungssatelliten. Dieser Satellit fliegt auf einer Höhe von knapp 700 Kilometern.
Die scheinbare Nähe bei manchen Bildern – man glaubt bisweilen durch die Fenster in die Gebäude schauen zu können – wird durch einen schrägen Aufnahmewinkel erzielt. Dadurch erscheinen vor allem städtische Bereiche mit Hochhäusern sehr plastisch.
Welchen Einfluss Ideologie und Politik auf den Städtebau haben, zeigt das Beispiel Johannesburg. Es ist klar ersichtlich, dass die Townships auch nach dem Ende der Apartheid vom wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Stadt abgeschnitten sind. Bestürzend ist die Ähnlichkeit mit der Satellitenaufnahme von Az-Zaatari in Jordanien. Das Flüchtlingslager, mit 80.000 Bewohnern eines der größten der Welt, entwickelt sich immer mehr zu einer eigenen Stadt.

Wie Kunstobjekte wirken Städte, die komplett am Reißbrett entworfen wurden. Die Rentnerzuflucht Sun City in Arizona, wo nur Menschen über 55 Jahre wohnen, ist aus sauber gezirkelten Straßenkreisen mit abgesenkten Bordsteinen zusammengesetzt. Einzigartige künstliche Muster bilden auch die Siedlungen von Boca Raton im Süden Floridas oder die künstlichen Inselwelten der arabischen Planstädte Doha und Durrat Al-Bahrain.
Zum Schluss gibt das österreichische Autorenteam einen Ausblick auf die Zukunft der Megastädte. Sind „Smart Cities" die Lösung, die mittels Big Data eine effektivere, ressourcenschonende Planung anstreben? Helfen „Urban Gardening" und „Vertical Gardening"? Die Satellitenaufnahmen und fachkundigen Begleittexte bieten unerwartete Perspektiven auf die Schönheit und die Gefährdung eines uralten Phänomens der Menschheitsgeschichte.