Bremen. Der türkischstämmige Bremer Murat Kurnaz war 19 Jahre alt, als er im Dezember 2001 in Pakistan festgenommen wurde. Es folgten fünf Jahre der Verhöre und der Folter durch das US-amerikanische Militär, zunächst in Afghanistan, später im berüchtigten Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba. Der Verdacht terroristischer Ambitionen erhärtete sich zu keinem Zeitpunkt. Der Spielfilm "5 Jahre Leben" erlaubt erschütternde Einblicke in Kurnaz Martyrium. André Wesche hat mit Murat Kurnaz gesprochen.
Herr Kurnaz, wie hat es sich angefühlt, zum ersten Mal den Film "5 Jahre Leben" anzuschauen?
MURAT KURNAZ: Spannend. Natürlich hat mich sehr interessiert, wie ich dargestellt werde. Mir war klar, dass es kein Hollywood-Film ist. Trotzdem gefällt mir gut, wie alles rübergebracht wird.
Der Film geht manchmal an die Grenze des Erträglichen, trotzdem spart er im Gegensatz zu Ihrem Buch manche Härte aus.
KURNAZ: Ja, viele Folterszenen wurden weggelassen. Ich selbst bezeichne Faustschläge und Tritte nicht als Folter, wenn es um Guantánamo geht. Klar ist auch das Folter, aber für die Häftlinge dort beginnt Folter erst bei Elektroschocks, Waterboarding und solchen Geschichten. Das alles ist nicht im Film drin, das hat mich erst mal irritiert. Aber je öfter ich mit Leuten über den Film rede, umso mehr stelle ich fest, dass der Film schon jetzt intensiv genug für den Zuschauer ist.
Waren Sie am Prozess des Filmemachens beteiligt?
KURNAZ: Ich habe den Regisseur ganz bewusst nach seinen Vorstellungen arbeiten lassen. Wir haben uns öfter getroffen und uns unterhalten, er hat mein Buch gelesen. Bei den Dreharbeiten war ich nicht dabei, weil ich nichts beeinflussen wollte. Ich glaube, dafür waren mir Regisseur und Schauspieler sehr dankbar. Wenn es nach mir ginge, würde ich tausend Sachen anders machen, klar. Aber ich bin kein Regisseur und mein Film würde wahrscheinlich keinem gefallen. Ich bin mit dem Film zufrieden.
Ist es Ihnen schwer gefallen, Ihre Lebensgeschichte in fremde Hände zu legen?
KURNAZ: Nein, gar nicht. Ich gehe ja damit an die Öffentlichkeit und erzähle darüber. Hätte ein Mensch, den ich liebe, so etwas mitgemacht, würde es mir wahrscheinlich schwerfallen, darüber zu sprechen. Aber ich habe es am eigenen Körper erlebt. Dann ist das Reden darüber ein Witz. Ich erzähle es deshalb in der Öffentlichkeit, weil es Guantánamo heute immer noch gibt. Nach Amnesty International existieren weltweit etwa 21 Geheimgefängnisse, in denen Menschen gefoltert werden.
Setzen sich die Politiker ein, um so etwas zu verhindern?
KURNAZ: Ganz im Gegenteil: Diese Geheimgefängnisse werden von Politikern geplant und geführt. Die Politik spielt auf zwei Seiten, in der Öffentlichkeit und im Geheimen. Ich habe die Hoffnung, dass ich ihnen dieses Spiel ein bisschen schwerer machen kann.
Was hat Ihnen die Kraft gegeben, diese Torturen zu überstehen?
KURNAZ: Auf der physischen Seite habe ich versucht, mich körperlich durch Liegestütze, Schattenboxen oder Dehnübungen fit zu halten. Man ist in dieser Situation verloren, wenn man keinen Halt hat. Da spielt der Glaube eine wichtigste Rolle. Ich habe Gott darum gebeten, mir diese Kraft zu geben und mich überleben zu lassen. Und ich bin Gott dafür dankbar, dass er mich erhört hat. In Guantánamo lebt man mit dem Tod zusammen. Ich habe Leute gesehen, die vor meinen Augen bis zum Tode gefoltert worden sind. Da wurde mir klar, dass mir das auch widerfahren, dass ich der Nächste sein kann. Man kann sterben, man kann auch überleben und wieder nach Hause kommen. Oder man kann für immer dort bleiben.
Was war das für ein Gefühl, als klar wurde, dass Sie frei kommen?
KURNAZ: Ich habe es nicht glauben wollen. Ich wusste, was die dort für Nummern abziehen. Man erzählt den Häftlingen, dass sie frei kommen. Dann fliegt man mit ihnen eine Runde über Guantánamo und dann wacht man wieder in der Zelle auf. Es wird einem erzählt, dass einen die Regierung nicht mehr wiederhaben will und man hierbleiben muss. Dadurch sind viele Leute kaputtgegangen. Deshalb wollte ich nicht daran glauben, bis ich mich selbst in Deutschland sehe. Als ich mit dem Flieger in Stuttgart auf dem Militärstützpunkt angekommen bin, war auch wieder alles amerikanisch beschriftet. Dann kamen die Deutschen und brachten mir einen Brief von meiner Mutter. Ich bekam einen vorläufigen Personalausweis. Als wir den Militärstützpunkt verlassen haben und auf den Plakaten und überall alles auf Deutsch stand, fühlte ich mich fast frei.
Die Bundesregierung hätte sich früher für Ihre Freilassung stark machen können. Eine Entschuldigung lässt auf sich warten. Haben Sie je erwogen, Deutschland den Rücken zu kehren?
KURNAZ: Wohin hätte ich gehen sollen? Ich bin in Bremen geboren, ich bin Bremer. Meine Familie lebt in Deutschland. Die Türkei kenne ich nur aus dem Urlaub. Ich lasse mir das Leben hier nicht von irgendwelchen Leuten schwer machen. Ich lebe mein Leben und pflege meine Hobbys.
Haben Sie Alpträume von Guantánamo?
KURNAZ: Nee. Komischerweise habe ich sehr selten von Guantánamo geträumt. Ich schlafe sehr gut. Ich trainiere auch viel. Danach bin ich so kaputt, dass ich eigentlich nur noch gut schlafen kann. Und je mehr ich an Guantánamo denke, umso besser schlafe ich. Ich habe jahrelang auf einer Metallplatte geschlafen. Wenn ich heute im Bett liege, auf einer bequemen Matratze, mit meinem weichen Kissen und einer warmen Decke, dann denke ich, alles ist gut und schlafe sofort ein.
Ab 23. Mai in den Kinos