Sabine Friedrich über ihren großen Widerstands-Roman "Wer wir sind"

"Ich bin immer tiefer eingetaucht"

Sabine Friedrich arbeitete sechs Jahre an ihrem monumentalen Roman. | © FOTO: ASTRID ECKART/DTV

18.10.2012 | 14.04.2020, 13:07

Frankfurt. Sabine Friedrich hat unter dem Titel "Wer wir sind" einen monumentalen Roman über den deutschen Widerstand gegen Hitler geschrieben. 2032 Seiten umfasst ihr Werk. Von den Schützengräben des Ersten Weltkriegs bis zur Hinrichtung der Widerstandskämpfer des 20. Juli in Plötzensee spannt sie den Bogen. Vor allem menschlich will sich die 54-Jährige den Männern und Frauen nähern, die ihr Leben im Kampf gegen die Nazis riskierten. Stefan Brams sprach auf der Frankfurter Buchmesse mit der Autorin.

Frau Friedrich, der Titel Ihres Romans, "Wer wir sind", klingt, als ging es um uns heute. Dabei schreiben Sie über den Widerstand gegen Hitler. Absicht?
SABINE FRIEDRICH:
Ich bin zu meinem Thema ja nicht als Historikerin gekommen, die den Widerstand gegen Hitler nochmals neu erforschen wollte. Stattdessen wollte ich wissen, was Menschen dazu bringt, sich für den Widerstand zu entscheiden. Was sind ihre Motive? Was treibt sie an? Woher der Mut? Ein solches Herangehen hat ja durchaus auch viel mit uns heute zu tun. Insofern ist der Titel in der Tat doppeldeutig.

Was hat sie dazu bewogen, gleich so ein breites Panorama des deutschen Widerstands zu zeichnen?
FRIEDRICH:
Am Anfang wollte ich eigentlich nur ein paar Beispiele herausgreifen. Aber dann stellte ich fest, dass viele Männer und Frauen aus dem deutschen Widerstand sich kannten oder gar verwandt waren und die willkürlichen Grenzziehungen der Geschichtswissenschaft zwischen dem bürgerlichen, dem adeligen, dem kommunistischen, dem sozialdemokratischen und dem militärischen Widerstand gar nicht haltbar sind. Das fand ich so spannend, dass ich immer tiefer eingetaucht bin und den Rahmen immer weiter aufgezogen habe.

Hatten Sie nie Angst, sich in einer solchen Stofffülle und Personenvielfalt zu verlieren?
FRIEDRICH:
Doch, denn ich sah mich schließlich einer wahren Flut an Personen und Informationen gegenüber. Aber irgendwann habe ich mich wie selbstverständlich hingesetzt und täglich an meinem Werk geschrieben. Dabei war es mir egal, ob daraus wirklich ein gedrucktes Buch wird. Ich wollte einfach nicht mehr raus aus dieser Welt.

Sie folgen den historischen Fakten sehr genau. Wie viel Fiktion haben Sie sich gestattet?
FRIEDRICH:
Das ist in Prozenten sicher schwer zu sagen. Aber für mich war immer klar, ich will historisch sehr genau arbeiten und nichts dazu erfinden. Aber alles was sich rund um die historischen Fakten abspielt, die Atmosphäre, wie die Menschen sich in Gesprächen geben, die Stimmungen, die Begegnungen und die Kleidung sind fiktional.

Sie haben darauf verzichtet, mit den Angehörigen der Widerstandskämpfer zu sprechen. Warum?
FRIEDRICH:
Ich wollte einen Roman schreiben, und ich wollte ihn selbst schreiben. Zudem liegen von fast allen Zeitzeugen Erinnerungen vor, so dass ich nichts Neues mehr von ihnen erwartet hatte.

Gibt es im Nachhinein Reaktionen von Angehörigen?
FRIEDRICH:
Wir haben bereits vor dem Erscheinen Druckfahnen an viele Hinterbliebene versandt gehabt, so dass sie lesen konnten, was drin steht.

Und die Reaktionen?
FRIEDRICH:
Einige waren verblüfft, andere sahen das Buch kritisch aber meistens ging es dabei nur um Details wie zum Beispiel Kosenamen. Andere wiederum waren sehr beglückt und beeindruckt, wie ich von ihren Angehörigen erzähle. Insgesamt überwiegen die positiven Äußerungen.

Hatten Sie Angst vor Reaktionen seitens der Historiker?
FRIEDRICH:
Nein, denn mein Manuskript ist ja von einem Historiker geprüft und begutachtet worden. Ich war mir sehr sicher, dass die Fakten stimmen.

Sie haben sechs Jahre an ihrem Roman gearbeitet. Wie nahe sind die Widerstandskämpfer und ihre Angehörigen Ihnen gekommen?
FRIEDRICH:
Nach einiger Zeit habe ich sie als "meine Leute" bezeichnet. Das sagt alles.

Gibt es etwas, was sie überrascht hat an diesen Menschen?
FRIEDRICH:
Ja, das engmaschige Netz des Widerstands und dass viele sogar miteinander verwandt waren. Erstaunt hat mich aber auch, wie Menschen aus edelsten Motiven zu Nationalsozialisten wurden und wie sie es schafften, sich davon wieder zu befreien und gar dem Widerstand anzuschließen.

Gibt es eine Persönlichkeit, die Ihnen besonders sympathisch geworden ist?
FRIEDRICH:
Jemanden von "meinen Leuten" herauszuheben, käme mir wie Verrat vor. Nur so viel, mich haben eher die gebrochenen Biografien angezogen.

Was war das für ein Gefühl, als Sie das Buch nach mehr als sechs Jahren in den Händen hielten?
FRIEDRICH:
Das kann ich gar nicht beschreiben, denn ich bewohne es immer noch. Es passiert einfach zu viel mit dem Buch. Lesungen stehen an, ein Hörbuch entsteht und derzeit schreibe ich Kurzskripte für eine Lesung mit Matthias Brandt und Birgit Minichmayr.

Bei der Lektüre hat mich die Bereitschaft der Widerstandskämpfer beeindruckt, ihren Weg bis zu Ende zu gehen. Hat Sie deren Stärke überrascht?
FRIEDRICH:
Überrascht nicht, denn wer gegen den Strom schwimmt, muss ja stark sein, sonst hält er das nicht durch.

Sie haben immer wieder betont, in ihrem Roman Menschen aus Fleisch und Blut zeigen zu wollen. Warum betonen Sie das so sehr?
FRIEDRICH:
Für mich steht fest, dass die Geschichte von Einzelnen gemacht wird und nicht von anonymen Systemen. Jeder prägt mit seinen täglichen Entscheidungen den Verlauf der Geschichte mit. Ich bin daher der festen Überzeugung, dass wir Geschichte nur anhand konkreter Menschen darstellen können - Menschen aus Fleisch und Blut, Menschen mit Stärken und Schwächen. Alles andere wäre Ideologie und Ideologien lehne ich ab.

Was kommt nach diesem Mammutwerk?
FRIEDRICH:
Das weiß ich noch nicht. Vielleicht etwas Kleineres, aber ich habe auch einen Plan für etwas genauso Wuchtiges. Aber darüber kann ich noch nichts sagen.

Sabine Friedrich: Wer wird sind, dtv, München 2012, 2032 Seiten, 29,90 Euro.