Köln. Vor dem Ausbruch der "Tollwut" und gar vor einem "Lynchgericht" warnte ein Kölner Blatt, als die aufgeschlossene Domstadt im Sommer 1912 mit der vierten rheinischen Sonderbund-Ausstellung den Durchbruch der jungen Moderne in Deutschland einläutete.
Von "Überfremdung" war unter konservativen Akademie-Künstlern die Rede, weil die internationale Kunst des neuen Jahrhunderts in einer eigens nach der Brüsseler Weltausstellung angekauften Ausstellungshalle am Aachener Tor mit 650 Arbeiten von 170 Malern und Bildhauern in einer Dichte wie nie zuvor zu sehen war. "Ich wünschte, wir hätten so eine gute Schau", schwärmte nach einer Stippvisite Arhur B. Davies, der Präsident der Vereinigung amerikanischer Maler und Bildhauer. Nicht wenige der damals in Köln präsentierten Meisterwerke übernahm ein Jahr später die Armory Show, die das Zeitalter der Moderne in den USA einläutete. Und die Amerikaner kauften diese Kunst.
Nicht annähernd dieselbe Fülle, aber ein erstklassiges Konzentrat der legendären Sonderbund-Schau zeigt nun nach 100 Jahren mit 115 Werken das Wallraf-Richartz-Museum unter dem Titel "1912 – Mission Moderne". Kuratorin Barbara Schaefer brauchte mehrere Jahre, um alle Exponate ausfindig zu machen, die damals in Köln zu sehen waren. Meisterstücke im Millionenwert reisten dafür aus New York, Washington, Chicago, Los Angeles, Paris und London noch mal an den Rhein. Erstaunlich viele Privatsammler trennten sich von jahrzehntelang nicht mehr öffentlich ausgestellten Gemälden.
Mit den 125 Bildern von van Gogh in der Sonderbund-Schau kann diese Ausstellung mit nunmehr 14 nicht mithalten. Aber die Auswahl reicht, um die Entwicklung des Niederländers im Schnelldurchgang zu verdeutlichen. Und sogar eine Kuriosität findet sich mit einer Pietà nach Delacroix darunter. Als "großen Germanen" pries 1912 Ausstellungsleiter Richart Reiche den Niederländer, um deutschnationale Vorbehalte zu dämpfen.
Ins Schwärmen geriet Reiche angesichts der "unvergleichlichen Farbendichtung" des ältesten Gurus der Moderne, Paul Cézanne. Im Wallraf-Richartz-Museum lässt seine Landschaftsmalerei schon den Kubismus erahnen.
Deutlich wird hier auch der Einfluss des "wilden" Paul Gauguin auf die Expressionisten der "Brücke". An exzellenten Beispielen demonstriert die Schau die Emanzipation der Farbe durch ihre Befreiung von der Form. Nach Ländern unterteilt ist wie 1912 der Überblick in neun Sälen.
Neben Großartigem von Pablo Picasso, Edvard Munch, Paul Signac, Oskar Kokoschka, Ferdinand Hodler oder Giovanni Giacometti ist auch Drittklassiges zu sehen. Wer kennt heute noch den Franzosen Pierre-Paul Girieud, der Akte arg plakativ malte, oder den Düsseldorfer August Deusser? Dessen beharrliches Eintreten für die damals führenden Franzosen vereitelte die vierte Sonderbund-Schau in Düsseldorf. So fiel die Jahrhundertschau dem aufgeschlossenen, aufstrebenden Köln in den Schoß.