Bielefeld. "Herzlichen Glückwunsch – niemand kennt deine E-Mail-Adresse. Gott sei Dank! Wenn du jemandem deine E-Mail-Adresse gibst, stehst du ja quasi nackt vor ihm. Was habt ihr eigentlich gemacht, als der Vorgänger von Facebook rausgekommen ist, dieses... Telefonbuch. Da steht Name und Adresse drin, das ist doch der Wikigate des kleinen Mannes."
Mit solchen Sätzen brachte der Berliner Slammer und Kabarettist Till Reiners das Publikum im bis zum letzten Platz gefüllten Bunker Ulmenwall zum Dauerkichern.
Till Reiners, 26, gastiert bereits zum fünften Mal in Bielefeld, aber nach diversen Auftritten bei Poetry Slams sowie gemeinsam mit Roman Schmitz, zum ersten Mal solo. "Da bleibt uns nur die Wut" heißt das erste abendfüllende Solo-Programm, in dem der abseits der Bühne schüchtern wirkende Reiners nicht nur gegen Zukunftsverweigerer, sondern auch gegen Castingshows, Politiker und Drogerieketten wettert. Und gegen Kinderriegel, die statt fünf Milchkammern in Wahrheit fünf Lufträume enthielten: Diese würden entstehen, weil jemand Riegel und Geld sparen möchte.
Erklärt den Titel seines Programms
Da er schon mal dabei ist, sich über Aufreger auszulassen, erklärt er auch gleich den Titel seines Programms: "Wut ist Treibstoff! Wir sind hier in Deutschland, da haben wir kein Öl. Da bleibt uns nur die Wut."Die Mischung aus Witz und Ernsthaftigkeit kommt beim Bielefelder Publikum gut an. Und nicht nur hier: Reiners, der seit drei Jahren bei Poetry Slams auftritt, wurde 2010 Finalist der deutschsprachigen Meisterschaften im Poetryslam, ist Berliner Stadtmeister des Jahres 2011 und gewann Ende vergangenen Jahres den zweiten Platz beim Kabarettpreis "Passauer ScharfrichterBeil" für Auszüge aus seinem aktuellen Programm.
Eine seiner Stärken ist seine Vielfältigkeit. So vergehen die rund zwei Stunden, die Reiners auf der Bühne steht, wie im Flug. Till Reiners spricht mit viel Ausdruck, unterstreicht seine Worte mit ausladenden Gesten und teilweiser extremer Mimik. Er ist wahnsinnig lustig, dabei aber niemals platt, spielt mit Sprache und hantiert mit Klischees.
Komplex und bedeutungsschwer
Und während die Zuschauer noch über die letzte Pointe lachen, spuckt er bereits den nächsten Satz aus, der zunächst verblüfft, weil er so gewitzt, komplex und bedeutungsschwer ist. In einem Text über die verschiedenen Ausprägungen der Lüge, lautet ein solcher Satz: "Ich war zu feige, Dir die Wahrheit zu sagen. Ich war zu feige, Dich zu belügen. Also dosierte ich meine Wahrhaftigkeit nach dem Grad Deiner Empörung."Ob Reiners sich mit Castingshows oder Linken mit rassistischen Tendenzen beschäftigt – der Poetry Slammer sieht sich als Kabarettist; den Texten ist anzumerken, dass er mehr will, als das Publikum zu belustigen. Das Ende seiner Lesung gestaltet Reiners trotzdem in typischer Slam-Manier: Auf Wunsch des Publikums trägt er drei noch nicht fertiggestellte Texte vor und lässt die rund 200 Zuhörer abstimmen, welchen sie am besten fanden. Gelungen waren sie alle.