Bielefeld. In dem berührenden TV-Drama "Im falschen Leben", das die ARD am Mittwoch ab 20.15 Uhr zeigt, spielt sie die Mutter eines Kindes, das kurz nach der Geburt im Krankenhaus vertauscht worden ist. Die Berlinerin Anna Maria Mühe spricht mit Tilmann P. Gangloff über ihre Haltung zur Schauspielerei, den Umgang mit dem frühen Ruhm und ihre Lust auf extreme Rollen.
Frau Mühe, Sie sind die Tochter zweier bekannter Schauspieler, aber man musste Sie erst in einer Kneipe entdecken. Warum dieser Umweg? Hatten Sie keine Ambitionen, Schauspielerin zu werden?
ANNA MARIA MÜHE: Doch, natürlich hatte ich die, ich bin mit dem Beruf aufgewachsen, und es wäre absurd, diese Ambitionen zu leugnen. Aber meine Eltern waren der Meinung, ich sollte erst mal was Vernünftiges lernen. Der Umweg hatte den Vorteil, dass ihre Popularität für meine Karriere überhaupt keine Rolle spielte. Es ging nur um mich.
Wenn Kinder in die Fußstapfen ihrer Eltern treten, werden ihre Leistungen oft strenger bewertet. Haben Sie das auch gespürt?
MÜHE: Ja, der Druck ist größer. Der Blick auf die Leistung ist ein ganz anderer, wenn die Tochter von Ulrich Mühe vorspricht. Allerdings ist das auch ein Druck, den man sich selbst macht.
Wie reagieren Sie darauf?
MÜHE: Ich versuche, es zu ignorieren und mich nicht verrückt machen zu lassen.
Sie mussten früh lernen, mit eigener Popularität zu leben. Wie schafft man das mit 16 Jahren?
MÜHE: Damals bin ich ja noch nicht so oft erkannt worden. Ehrlich gesagt habe ich es bis heute nicht gelernt, damit umzugehen. Ich finde es immer noch befremdlich, wenn man mich beim Einkaufen anstarrt. Dann ist es mir schon lieber, wenn mich die Leute direkt ansprechen.
Wenn man so jung bekannt wird: Wie groß ist die Gefahr abzuheben?
MÜHE: Sehr groß, aber mir hat geholfen, dass ich durch meine Eltern wusste: Das ist alles nur Show, das wahre Leben findet ganz woanders statt. Trotzdem ist es immer eine Umstellung, wenn der Rummel vorbei ist und man wieder selbst für sich verantwortlich ist. Da fällt man leicht in ein Loch.
Im Gegensatz zu anderen Nachwuchstalenten kannten Sie das Metier und wussten, dass die Schauspielerei mit großen Risiken verbunden ist. Hat Sie das nicht abgeschreckt?
MÜHE: Ich hatte gar keine Zeit, darüber nachzudenken. Damals hatte ich jedenfalls noch keine Angst davor, irgendwann keine Rollen mehr zu bekommen. Wenn ich sie jetzt verspüre, kommt immer rechtzeitig ein neues Angebot. Bisher habe ich großes Glück gehabt.
Sie haben damals die Schule abgebrochen. . .
MÜHE: Mit 17, ja.
Und wenn Sie mit 20 keine Angebote mehr bekommen hätten?
MÜHE: Ich hatte ein Abgangszeugnis, das mir jederzeit die Rückkehr aufs Gymnasiums ermöglicht hätte. So viel Sicherheit musste dann doch sein.
Welchen Weg wären Sie danach gegangen?
MÜHE: Ich denke, ich wäre auf jeden Fall beim Film geblieben. Die Arbeit als Maskenbildner finde ich zum Beispiel auch sehr interessant. Vielleicht hätte ich auch eine Schauspielschule besucht.
Dazu sind Sie vor lauter Arbeit nie gekommen?
MÜHE: Aber ich habe Privatunterricht genommen. Ich bereite mich auch heute noch mit meinem Coach auf jeden Film vor.
Werden Sie auch bei der Rollenauswahl beraten?
MÜHE: Normalerweise weiß ich selbst relativ schnell, ob ich eine Rolle übernehmen will oder nicht. Natürlich spreche ich mit meiner Agentin darüber, aber ich bin ein Bauchmensch und kann mich auf mein Gespür verlassen.
Es ist also kein Zufall, dass die Filme, in denen Sie mitwirken, meist ungewöhnliche Dramen sind?
MÜHE: Nein, ich habe mir von Anfang an vorgenommen, eine Rolle nie nur des Geldes wegen anzunehmen, das ist mir bis heute wichtig. Da beteilige ich mich lieber an Projekten, die ich spannend finde, selbst wenn diese Filme oft nicht so viele Zuschauer haben.
Das muss man sich leisten können.
MÜHE: Ich finde, das hat viel mit der eigenen Haltung zu tun. Wenn man diesen Beruf ernst nimmt und nicht jeden Quatsch mitmachen will, kann man Rollen auch absagen. Ich hab zwischendurch auch mal hinter der Theke gestanden.
Sie haben sich lange geziert, sich selbst "Schauspielerin" zu nennen. Warum?
MÜHE: Es fällt mir immer noch nicht leicht. Ich bin mit viel Demut und Respekt vor diesem Beruf aufgewachsen. Wenn ich sehe, wer sich alles Schauspieler, Sänger oder Journalist nennt, frage ich mich manchmal: Was hast du denn schon geleistet?
Sie haben auch nie Theater gespielt. Warum nicht?
MÜHE: Es ist immer ein Film dazwischen gekommen. Und ich habe ja keinerlei Bühnenerfahrung, ich brauche also einen Regisseur, zu dem ich großes Vertrauen habe und der Lust auf die Arbeit mit einem Bühnenneuling hat.
In dem Babytauschdrama "Im falschen Leben" sind sie in praktisch jeder Szene mit einem kleinen Kind zu sehen. Haben Sie das vorher geübt?
MÜHE: Das brauchte ich nicht. Ich habe zwei jüngere Geschwister und vier Nichten, ich bin den Umgang mit Babys also gewöhnt. Das war auch wichtig, um das Vertrauen der Mütter zu gewinnen, die uns ihre Kinder überlassen haben.
In der Geschichte spielt die Mutter/Kind-Bindung eine entscheidende Rolle. Wie setzt man so was um? Babys sind ja keine Schauspieler.
MÜHE: Die beiden Babys waren entzückend, ich habe ganz schnell eine enge Beziehung zu ihnen entwickelt. Das war ein völlig anderes Erlebnis, als wenn man allein vor der Kamera steht; man fühlt sich da schnell verantwortlich. In den Pausen haben wir uns nicht zurückgezogen, sondern uns weiter mit den Babys beschäftigt. An den beiden Drehtagen ohne die Kinder habe ich sie direkt vermisst. Daher war es auch gar nicht schwer, die Trauer über den Verlust zu spielen.
Sie verkörpern auffällig oft Frauen in existenziellen Konflikten. Woher kommt diese Vorliebe?
MÜHE: Es ist nicht so, dass ich unbedingt nach extremen Rollen suche, aber solche Figuren sind für eine junge Schauspielerin natürlich sehr spannend, weil man an seine Grenzen gehen muss.