
Bielefeld. Jeder Rockmusiker mit Geschichtsbewusstsein wird sich heute einen Moment Zeit nehmen und in Richtung St. Louis, Missouri, verbeugen. Chuck Berry, der dort vor 85 Jahren geboren wurde und noch immer lebt, hat es verdient. Ohne ihn hätte es die Beatles und Rolling Stones - zumindest wie wir sie kennen - nicht gegeben. Chuck Berry hat mit seinen Songs, seinem Gitarrenstil und Gesang in den 50er Jahren die DNA der Rockmusik geprägt.
Natürlich gab es andere, die ihren Anteil an der Geburt und dem weltweiten Siegeszug des Rock’n’Roll hatten. Jimmy Reed, Bill Haley, Elvis und einige mehr. Doch niemand hat die Sprache und den Sound dieser Musik so klar und bleibend definiert wie Chuck Berry. Sein "Johnny B. Goode" ist bis heute Prüfstein unverzichtbares Rüstzeug für jeden angehenden Rockgitarristen.
Rock im Weltall
- Mit "Maybellene" erzielt Chuck Berry 1955 den Durchbruch.
- Neben der Musik sorgt er auf der Bühne mit seinem Duckwalk (Entengang) für Aufsehen.
- 1979 schickt die NASA die Sonde Voyager auf eine unendliche Reise durchs All. An Bord ein Tonband mit musikalischen Errungenschaften der Menschheit, neben Mozarts "Zauberflöte" auch Berrys Hit "Johnny B. Goode"
Charles Edward Anderson Berry, wie er vollständig heißt, hat nie eine Musikakademie besucht. Nach einem Raubüberfall landet er von 1944 bis 1947 im Gefängnis und hat viel Zeit zum Gitarreüben. Er eignet sich Riffs und Licks des E-Gitarre-Pioniers T-Bone Walker an, dem auch B. B. King viel verdankt. Nach seiner Entlassung arbeitet er in einer Autofabrik und steigt abends beim "Johnnie Johnson Trio" ein, wo er alte Jazz- und Bluesnummern spielt und singt. Es dauert nicht lange, bis der dominante Chuck Berry das Kommando übernimmt. Pianist Johnnie Johnson wird fast 20 Jahre sein Weggefährte bleiben. Zusammen schreiben sie viele Songs. Der Anteil des begnadeten Rhythm’n’Blues-Pianisten an Chuck Berrys Erfolgstiteln dürfte größer sein, als gemeinhin bekannt ist. Gedankt hat es ihm Berry nicht, zumindest nicht in Gestalt von Tantiemen-Anteilen.
Die Weißen lieben es ohnehin
Chuck Berrys Genie beruht zu einem nicht geringen Teil auf seinem unbeirrbaren Wunsch zu gefallen, seinem Sinn für den Massengeschmack. Mit weißer Country-Western-Musik hat er eigentlich nicht viel am Hut, aber die ist in den 50ern in St. Louis eine große Sache. Berry unterlegt seine alltagsnahen und sprachlich griffigen Texte über Autos, Mädchen und Sex mit dem zündenden Hillbilly-Rhythmus. Sein schwarzes Publikum findet Gefallen daran und tanzt dazu.Die Weißen lieben es ohnehin. "Maybellene", eine dieser schwarzen Hillbilly-Nummern, bringt Chuck Berry 1955 den ersten großen Erfolg. In der Folgezeit produziert er Hits am laufenden Band, alle mit einem unwiderstehlich rollenden Push-Pull-Rhythmus: "Roll over Beethoven", "Sweet Little Sixteen", "Rock & Roll Music", "Memphis Tennessee", "Carol". Berrys Rassengrenzen überschreitende Popularität scheint unaufhaltsam zu sein, da landet Mr. Rock’n’Roll wieder im Gefängnis - wegen Verstoßes gegen den "Mann Act", ein Gesetz, das den
Transport Minderjähriger von einem Bundesstaat in einen anderen verbietet. Britische Bands wie die Beatles oder die Rolling Stones halten die Erinnerung an Berry wach. Sie covern seine Songs und betonen in Interviews unablässig, wieviel sie ihrem Idol verdankten. Chuck Berry hat ihnen das nie vergessen.
Dennoch wird er Anfang der 60er Jahre aus dem Gefängnis in eine veränderte Popwelt entlassen. Rock’n’Roll hat inzwischen stark an Attraktivität eingebüßt. Chuck Berry macht sich daran, den ihm vorenthaltenen Anteil am Kuchen zurückzuerobern. Mit knallhartem Geschäftsgebaren verwaltet er fortan sein Vermächtnis und macht Kasse. Stets lässt er sich bei Konzerten von örtlichen No-Name-Bands begleiten. Nie spielt er auch nur eine Minute länger als die vertraglich vereinbarte Auftrittszeit.
Seine letzte Platte nimmt Berry 1979 auf
1972 landet er mit dem anzüglichen "My Ding-A-Ling" noch einmal einen großen Hit. Seine letzte Platte nimmt er 1979 auf. Seitdem beschränkt er sich auf regelmäßige Tourneen.Anfang dieses Jahres ist er in Chicago auf der Bühne zusammengebrochen. Das konnte Berry aber nur kurz stoppen. Seitdem hat er schon wieder jede Menge ausverkaufte Konzerte gegeben. Das als menschlich schwierig geltende Rock’n’Roll-Original hat mit 85 nichts an Faszination verloren.