Halle. Was tut ein junger Ausnahmegeiger, der mindestens genau so gern Rockmusik spielt wie Klassik? David Garrett präsentierte am Dienstagabend im Rahmen seiner "Rock Symphonies"-Tournee seine persönliche Antwort darauf im ausverkauften Gerry-Weber-Stadion. Neben meist fetzig aufbereiteten Werken von Brahms, Vivaldi und Beethoven zelebrierte das einstige Violin-Wunderkind zur Begeisterung des bunt gemischten Publikums auch Songs von Nirvana, Metallica und Status Quo.
Der süße, warmpräsente Klang der ehrwürdigen, 1718 von Antonio Stradivari erbaute Violine erwies sich unter Garretts Händen als ideal für Barock, Klassik und moderne U-Musik. Leger in Jeans und Schlabberhemd, ein stylishes Tuch um die blonde Mähne gewickelt, präsentierte sich der Dreißigjährige fernab aller Starallüren als hochsympathischer Teamplayer. Bei rockigen Arrangements assistierte ihm eine vier Mann starke Band, für klassische Klanguntermalung stand das etwa vierzigköpfige Orchester der Neuen Philharmonie Frankfurt parat. Deren Leiter Frank van der Heijden hängte zwischendurch immer mal wieder für ein fetziges Duett mit Garretts Geige die E-Gitarre um.
Eine strenge Rock-Klassik-Abgrenzung mochte das Enfant terrible der Violinvirtuosen sowieso nicht ziehen: Beethovens Fünfte peppte er mit Schlagzeuguntermalung auf, Vivaldi mischte er mit U2, und Johannes Brahms Zweitem Ungarischen Tanz fügte Garrett, virtuos und blitzsauber greifend, noch ein paar freche Synkopen hinzu – nicht unbedingt geeignet für puristische Freunde der Werktreue, aber unwiderstehlich mitreißend für die anwesenden Fans aller Altersstufen, die jeden Song des netten, charismatisch geigenden Jeanstypen mit Jubel und Applaus feierten.
Bei hochsommerlicher Schwüle heizte Garrett das Stadionrund mit packend-pulsierenden Rhythmen, jaulend-brillierenden Rockkantilenen, sattem Begleitsound und großdimensionierten Pyroeffekten auf, um gleich darauf in verträumtem Schmelz Claude Debussys "Claire de lune" oder hemmungslos leidenschaftlich Eros Ramazottis Ballade "Musica E" zu zelebrieren.
Als Zugabe lieferte der lässig inszenierte Vollblutgeiger Vittorio Montis "Csárdás": In überragender Brillanz, mühelosem Virtuosentum, überbordender Spielfreude und überwältigender Präsenz, im beseelten Pianissimo auf den Knien liegend endend. Von diesem unkonventionellen Spieltrieb darf es gern noch etwas mehr sein – zum Beispiel am 20. April 2012 am gleichen Ort.