Bielefeld. Jan Feddersen besuchte 1992 zum ersten Mal ein Finale des Eurovision Song Contest (ESC). Mittlerweile gilt er als Experte rund um Europas größtes Gesangsspektakel und berichtet als Journalist von dem Event. So auch in diesem Jahr aus Düsseldorf. Anne-Lena Jaschinski sprach mit dem Autor und taz-Redakteur über die Landeshauptstadt, Lenas Chancen auf die Titelverteidigung und seine persönlichen Favoriten.
Herr Feddersen, Sie sind bereits seit Ende April in Düsseldorf. Wie ist Ihr Eindruck vom diesjährigen Veranstaltungsort des Song Contest?
JAN FEDDERSEN: Die Stadt ist sehr engagiert, es scheint alles top organisiert zu sein und es herrscht ein freundliches Klima. Vor allem auch durch die vielen hundert Volunteers, die gute Stimmung verbreiten. Die Veranstaltungshalle ist beeindruckend, ich habe selten so eine große Bühne gesehen. Auch designerisch ist das alles toll gemacht.
Im "Spiegel" kam die Landeshauptstadt nicht so gut weg: Düsseldorf interessiere außerhalb Düsseldorfs niemanden, als "Nabel Europas" würde es nicht taugen.
FEDDERSEN: So erlebe ich das nicht, man muss schon die Kirche im Dorf lassen. Düsseldorf wird durch den ESC als Hotspot bekannt werden, so wie es in der Vergangenheit alle Austragungsstädte waren. Aufmerksamkeit ist ein kostbares Gut.
Sie haben die Proben verfolgen können. Wie stehen Lenas Chancen, ihren Titel zu verteidigen?
FEDDERSEN: Titelverteidigung! Was für ein heftiger Anspruch. Ich glaube, kaum jemand macht sich bewusst, was das bedeutet. Wie unheimlich schwer das ist. Nein, ich glaube nicht, das sie das schafft. Aber sie wird unter den Top Ten landen, natürlich.
Ihnen gefällt also "Taken by a Stranger", das Lied, das Lena singen wird?
FEDDERSEN: Ja, das gefällt mir gut. Es ist modern und hat den klassischen Sound Berliner Clubs. Es hat etwas sehr eigenes an sich und dieses eigene ist bei einem Song Contest immer ein gutes Moment.
Welches Land ist denn Ihr Favorit?
FEDDERSEN: Der dänische Beitrag (die Boyband "A Friend in London" mit "New Tomorrow", Anm. der Red.) ist sehr gut. Den erkennt man sofort wieder. Andere favorisieren Schweden oder Frankreich. Und auch die Iren scheinen viele Befürworter zu haben.
Zur Person
- Seit er 1967 seinen ersten Grand Prix in der Wiener Hofburg verfolgt hat, ist der Journalist und Autor Jan Feddersen fasziniert vom 1956 ins Leben gerufenen europäischen Schlagerwettbewerb.
- Feddersen, der als Redakteur bei der taz arbeitet, wurde 1957 in Hamburg geboren.
- Seit 1992 hat er, abgesehen von drei Ausnahmen, alle Wettbewerbe vor Ort verfolgt und drei Bücher über den Contest geschrieben.
- In dem Buch "Wunder gibt es immer wieder" (Aufbau Verlag) beleuchtet er in 15 lesenswerten Essays den Grand Prix.
Lena scheint dagegen im vergangenen Jahr an Beliebtheit eingebüßt zu haben. Kritiker halten ihr zweites Antreten für keine gute Idee. Woher kommt diese negative Stimmung?
FEDDERSEN: Im Moment werden die Argumente, die schon immer gesagt wurden, nochmal überspitzt: Dass sie nicht singen kann, komisch tanzt und so etwas. Letztlich ist es aber so: Lena ist ein Jahr älter geworden und damit erfahrener. Sie ist nicht mehr so unschuldig scheinend wie in Oslo, sondern arbeitet bewusst und professionell. Da ist man eben nicht mehr Everybodys Darling. Wenn sie beim ESC wieder erfolgreich ist, wird sie mit Sicherheit auch wieder beliebter und gefeiert werden.
Seit wann ist es nicht mehr peinlich, zuzugeben, dass man den ESC guckt?
FEDDERSEN: Das war doch immer nur in so pseudo-coolen Milieus so, dass es keiner zugab. Dabei ist der ESC das einzige Großereignis, dass alle gesellschaftlichen Schichten vereint. In Schweden ist es zum Beispiel das normalste der Welt, während des ESC-Finales vor dem Fernseher zu sitzen. Auch bei einem Hochkulturellen wie dem Schriftsteller Per Olov Enquisit.
Scheinwerfer verblitzen Augen
Guildo zieht den FC Köln vor
Trier (dpa). Schlagersänger Guildo Horn (48) wird beim Song Contest vom heimischen Sofa aus für Lena mitfiebern. Natürlich drücke er beide Daumen "für einen entspannten Abend". Wie er Lenas Aussichten auf die Titelverteidigung einschätzt? Er tippe auf eine Platzierung in den vorderen Reihen."Wenn nicht, auch nicht schlimm", sagte der gebürtige Trierer, der 1998 beim Grand Prix mit der Raab-Komposition "Guildo hat Euch lieb" den 7. Platz belegt hatte. Ob er Lena-Fan ist? "Zu allererst bin ich Fan vom 1.FC Köln. Was Musiker angeht, stehe ich eher auf gewachsene Bands, und nicht so sehr auf Casting Acts", so Horn. Er halte es nicht für "gesund und nachhaltig, einen jungen Menschen von 0 auf 100 in die große weite Welt des Musikgeschäfts zu katapultieren". Auch, wenn das erstmal Erfolg bringe.
"Lieber mal eine eigene Band gründen, Spaß an der eigenen Kreativität entwickeln, selber seine Instrumente schleppen und sich ganz langsam nach oben spielen, oder auch nicht. Das erdet", sagte Horn.