 
        
                    Frankfurt. Bisher war sie nur wenigen bekannt, die Schweizer Autorin Melinda Nadj Abonji. Doch am Montag hat sie für ihren zweiten Roman "Tauben fliegen auf" den Deutschen Buchpreis für den besten deutschsprachigen Roman des Jahres erhalten. Nun ist sie ein Star im Literaturbetrieb. Und erträgt den Rummel mit freundlicher, ja heiterer Gelassenheit. Stefan Brams sprach mit der 42-Jährigen auf der Frankfurter Buchmesse über ihr Buch, das Leben als "ungarische Jugoslawin mit Schweizer Lebenswurzeln", ihre Chancen, auch den Schweizer Buchpreis zu gewinnen.
Frau Nadj Abonji, was war das für ein Gefühl, als am vergangenen Montag Ihr Name fiel und klar war, dass Sie den Deutschen Buchpreis gewonnen haben?
MELINDA NADJ ABONJI: Zunächst habe ich gar nichts gefühlt, weil ich so perplex war, dann dachte ich, dass kann doch gar nicht wahr sein, und dann habe ich mich einfach nur noch riesig gefreut. Die Freude kam also etwas verzögert.
Empfinden Sie den Preis auch als Bürde, denn die Erwartungen an Ihr nächstes Buch dürften steigen?
NADJ ABONJI: Ich habe Glück, denn ich habe schon vor einiger Zeit einen neuen Text angefangen. 50 Seiten stehen bereits. Und Sie sind gut. Das ist beruhigend in dieser Situation.
Wie sind die Reaktionen in der Schweiz und in Becsej in der Vojvodina, wo Sie ja zur Welt gekommen sind?
NADJ ABONJI: In der Vojvodina herrscht eine unglaubliche Begeisterung. Die Menschen sind richtig glücklich und denken schon darüber nach, wie sie das mit mir offiziell feiern können. Meine Verwandten, die alle dort leben, müssen nun ständig Interviews geben und sind so stolz und glücklich, dass es richtig anrührend ist. Auch in der Schweiz schlägt mir ein großes Interesse entgegen.
Auch Ihre Familie ist, wie die Familie Kocsis in Ihrem Roman, in die Schweiz ausgewandert. Wie viel von Ihrer Autobiografie steckt im Buch?
NADJ ABONJI: Der Text hat autobiografische Züge, weil er autobiografisches Material meiner Familie verwendet, aber der Roman ist kein autobiografischer Text. Das meiste ist schriftstellerische Phantasie.
Wollten Sie ihre eigene Geschichte aufarbeiten, war das der Antrieb zu Ihrem Roman?
NADJ ABONJI: Nein, es ist ja kein Trauma, das ich erlebt habe. Es gehört eben zu meinem Leben. Ich wollte einfach eine Sprache finden für den Stoff.
Die Mutter sagt an einer Stelle "Wir haben hier noch kein menschliches Schicksal, das müssen wir uns erst noch erarbeiten". Ein harter Satz. Haben Sie das auch so empfunden?
NADJ ABONJI: Ich kenne das nur als Zitat. Aber der Satz ist so erschütternd, weil einem im Buch ja vor Augen geführt wird, dass es so nicht hinhaut. Dass man sich zwar einen gewissen Respekt in einem neuen Land erarbeiten kann, dass es aber nicht ausreicht, wenn das menschliche Schicksal nur an die Arbeit und an Leistung und Anpassung gekoppelt wird. Es braucht eben auch die Offenheit der Menschen. Dass sie einen willkommen heißen und neugierig auf die Neuen sind. Wenn das nicht gegeben ist, dann kann man sich dieses menschliche Schicksal eben nicht erarbeiten. Das ist fatal und traurig.
Sind Sie denn angekommen in der Schweiz?
NADJ ABONJI: Nein, nie. Aber ich würde auch in der Vojvodina nicht ankommen. Ich würde auch dort zwischen Baum und Borke sitzen. Aber es ist kein Problem mehr für mich. Ich habe es aufgegeben, in einer Nation zuhause zu sein.
Was ist Heimat dann für Sie?
NADJ ABONJI: Meine Sprache, ich bin in der Sprache zuhause.
Macht Ihnen der Rechtspopulismus Sorgen, der mit der Schweizer Volkspartei auch dort immer stärker an Boden gewinnt ?
NADJ ABONJI: Ja, ich mache mir Sorgen, große sogar, aber ich sage im Moment nicht mehr dazu. Nur eins noch: die Gefahr wird unterschätzt.
Sie sind auch Musikerin, haben in einer Punkband gespielt. Sie touren mit einem Lyriker und Beatboxer. Wie stark hat die Musik Ihren Roman beeinflusst?
NADJ ABONJI: Meine erste Leidenschaft ist die Musik. Insofern hat sie immer schon meine literarische Arbeit stark beeinflusst – auch dieses Buch. Ich wollte eine leichte, beschwingte, musikalische Sprache für diesen schweren Stoff finden. Und als ich 2004 begonnen habe, an "Tauben fliegen auf" zu arbeiten, war dieser Klang sofort da. Deswegen wollte ich das Buch schreiben.
Ist es nach diesem Erfolg schwer, einen neuen Stoff zu finden?
NADJ ABONJI: Nein. Ich arbeite an einer Geschichte, die in diesem Buch keinen Platz gefunden hat. Es geht um meinen Bruder und mich. Es ist die Geschichte einer tiefen Geschwisterliebe, die ich erzählen werde, aber nicht autobiografisch, sondern exemplarisch.
Sie sind auch für den Schweizer Buchpreis nominiert, der im November vergeben wird. Wie stehen Ihre Chancen? 
NADJ ABONJI: (zuckt mit den Schultern, schmunzelt). Keine Ahnung, aber ich höre, dass mein Text durchgängig sehr positiv aufgenommen worden sein soll. Aber jetzt freue ich mich erstmal über diesen Preis.