Die Welt im Kopf

Christopher Nolans Film "Inception" ist ein faszinierendees Traumgespinst

30.07.2010 | 30.07.2010, 00:00
Arthur (Joseph Gordon-Levitt, hinten) bekämpft einen Gegner in der Schwerelosigkeit eines gekippten Hotelflurs. - © FOTO: WARNER BROS
Arthur (Joseph Gordon-Levitt, hinten) bekämpft einen Gegner in der Schwerelosigkeit eines gekippten Hotelflurs. | © FOTO: WARNER BROS

Bielefeld. "Ein Gedanke ist wie ein Virus", sagt der Ideendieb Dom Cobb in Christopher Nolans neuem Film "Inception". Ein Parasit. Habe sich eine Idee einmal eingenistet, werde man sie nie wieder völlig auslöschen können. "Inception" selbst ist ein viraler Film, ein prächtig anzuschauendes, hochspannendes Verwirrspiel über Traum und Wirklichkeit, das durch die Hirnwindungen saust, bis einem schwindelig wird.

Im Vergleich zu Nolans rückwärts erzähltem Thriller über einen Mann, der sein Kurzzeitgedächtnis verloren hat und den Mörder seiner Frau sucht ("Memento", 2000), wirkt "Inception" beinahe schlicht. Dennoch hat es eine so gelungene Kombination aus Action und Inspiration im Hollywood-Mainstream seit dem ersten "Matrix"-Film nicht mehr gegeben.

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Das Buch schrieb der Brite Nolan selbst. Im Mittelpunkt steht Dom Cobb (Leonardo DiCaprio). Der weltweit operierende Meisterdieb betreibt auf eine ganze spezielle Art Industriespionage: Er stiehlt Informationen aus Träumen. Extraktion heißt das. Dazu müssen aber erst einmal physische Voraussetzungen geschaffen werden. Sowohl das Opfer als auch das Team, das es bestehlen wird, werden betäubt und ihre Gehirne verbunden. Gemeinsam träumen sie einen Traum, dessen Architektur die Diebe erschaffen. Das ahnungslose Opfer füllt dieses Grundgerüst mit Details aus seinem Unterbewusstsein, inklusive aller Geheimnisse.

Cobb hat jedoch ein Problem. Er wird von einer persönlichen Schuld geplagt, die mit dem Tod seiner Frau Mal (Marion Cotillard) zusammenhängt. Sein eigenes Unterbewusstsein torpediert seine Arbeit als Traumarchitekt, denn Mal funkt ihm bei jedem Coup dazwischen. Cobb ist am Ende. Er will aussteigen und zu seinen Kindern zurückkehren. Für den mächtigen Unternehmer Saito (Ken Watanabe) soll er einen letzten Job erledigen, aber der hat es in sich: Cobb soll diesmal kein Geheimnis entreißen, sondern eine Idee einpflanzen, also eine "Inception" vornehmen.

Saito will seinen Konkurrenten Fischer (Cillian Murphy) loswerden. Der soll das Firmenimperium seines soeben gestorbenen Vaters zerschlagen, und Cobb soll ihm diese Idee so einpflanzen, dass Fischer glaubt, er sei von ganz allein drauf gekommen. Ein irrwitziger Coup, den nur ein Expertenteam stemmen kann. Dazu gehören die Traumarchitektin Ariadne (Ellen Page), auch Cobbs roter Faden aus dem Labyrinth seiner eigenen Abgründe, der kühle Stratege Arthur (Joseph Gordon-Levitt), der Fälscher Eames (Tom Hardy), der in der Traumwelt jede beliebige Person projizieren kann, und der Betäubungsexperte Yusuf (Dileep Rao).

Während die lahm gelegten Körper der Bande und ihres Opfers im Flugzeug gen Los Angeles unterwegs sind, reisen sie durch vier ineinander verschachtelte Traumwelten. In denen passiert neben viel Action auch Verqueres. Doch während Träume im wahren Leben chaotisch, verstörend und bizarr sein können, sind Nolans Visionen eher kühl und strukturiert. Andererseits hat der Kopf auch genug damit zu tun, dem vertrackten Plot zu folgen, Zeichen zu deuten und Rätsel zu lösen. Das größte gibt das Schlussbild auf, das im Kino ein kollektives Aufstöhnen auslöst und eine Fortsetzung nahelegt.

"Inception" ist ein Spiel mit Schleifen und Paradoxien, Anspielungen und Täuschungen. Nicht umsonst erinnert Ariadnes erster Traumbauversuch, ein gefaltetes Paris, an Zeichnungen von M.C. Escher. Dieser Film lässt sich sogar als Metapher für das Kino selbst lesen: der Film als gemeinsam erlebter Traum, erschaffen von Regisseuren und von jedem Zuschauer individuell mit Deutungen und Assoziationen aufgeladen.

Nolan bedient sich beim Banküberfall-Film, bei Science-Fiction, Action, Computerspiel-Architektur. Er erzählt eine Liebesgeschichte und zitiert andere Filme. Paradox ist, dass so vieles in "Inception" konventionell erscheint, man am Ende aber überzeugt ist, etwas aufregend Neuartiges erlebt zu haben. Nolan muss diese Idee irgendwie implantiert haben, während wir im dunklen Kinosaal damit beschäftigt waren, Sinn ins Ganze zu bringen. Was für ein Spaß.