Hamburg/Bielefeld. "Silbermond" hat eine erstaunliche Metamorphose vom talentierten Newcomer aus Bautzen zum großen Rockact vollzogen. Stefanie Kloß, Andreas Nowak und Thomas und Johannes Stolle sind eine echte, gewachsene Band, die auf Freundschaft aufbaut und die Fäden selbst in der Hand hält. Mit ihrem aktuellen Album "Nichts passiert" hat sich das Quartett um Stefanie Kloß neu erfunden. Olaf Neumann traf drei der vier Band-Mitglieder zum Interview.
Im Titelstück von "Nichts passiert" werden gewissenlose Zeitgenossen angeprangert - wer soll sich angesprochen fühlen?
THOMAS STOLLE: Die Person, auf die der Text passt, kann sich jeder selbst aussuchen. Der Song ist inspiriert durch die Polit-Talkshows, in denen bestimmte Leute ständig Floskeln predigen und viel versprechen. Sind sie dann aber ins Amt gewählt, wird davon nur wenig eingehalten. Deutsche Politiker dürfen sich nicht wundern, wenn sie an Glaubwürdigkeit verlieren. Sie schaffen es einfach nicht, auch mal Fehler einzugestehen. Es soll aber kein Zeigefinger-Song sein, sondern einfach nur eine Feststellung.
Wollen Sie jungen Leuten aus der Seele sprechen?
STEFANIE KLOSS: Das ist kein generationsspezifisches Problem. Von meinen Großeltern habe ich auch schon den Spruch gehört, dass sie aus Enttäuschung nicht zur Landtagswahl gehen wollen.
STOLLE: Wahlboykott wäre aber keine Lösung. Mit jeder Stimme, die an eine nichtdemokratische Partei geht, erhöht sich der Prozentsatz der Parteien, von denen man nicht möchte, dass sie mitregieren. Deswegen sollte man unbedingt wählen gehen.
Sie besingen mangelnde Solidarität und Ignoranz in der Gesellschaft. Was ist der Grund dafür?
ANDREAS NOWAK: Ich finde, dass man sich ruhig ein bisschen solidarisch für die eine oder andere Sache einsetzen könnte. Leider hört man oft den Spruch: "Das ist nicht mein Problem!" Also haben wir darüber einen Song gemacht, der das Ganze auf die Spitze treibt.
KLOSS: Wir sind sicher auch öfter in der Situation, in der wir selbst so denken. Aber gerade wenn man das an sich selber beobachtet, fällt einem auf, wie doof dieser Charakterzug eigentlich ist.
Machen Ihnen die gesellschaftlichen Veränderungen Angst?
KLOSS: So was kann man eigentlich erst reflektieren, wenn man dazu ein bisschen Abstand hat und zurückschaut. In dem Song "Irgendwas bleibt" wollten wir das schnelllebige Lebensgefühl der Gegenwart einfangen. Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten. Manchmal wünsche ich mir, mehr Zeit zu haben, um mir bestimmte Dinge in Ruhe anzuschauen. Was heute noch neu ist, ist morgen schon wieder alt.
Laut einer neuen Studie des Bundesinnenministeriums ist jeder siebte 15-jährige Deutsche ausländerfeindlich. Wie bringt man Kindern und Jugendlichen bei, gegen Nazis zu sein?
STOLLE: Durch Aufklärung. Das fängt in der Schule und bei den Eltern an und geht bei Leuten wie uns weiter. Gerade jungen Menschen muss man erklären, wie idiotisch und dumm die Nazi-Ideologie ist. Wer das kapiert, hat keinen Grund mehr, die NPD zu wählen.
Ihre Musik soll Menschen Mut machen. Wo liegen denn Ihre eigenen Schwächen?
KLOSS: Zum Beispiel in Selbstzweifeln. Wir können auch nicht gut loslassen. Wir sind oft so vertieft in die Arbeit, dass wir vergessen, uns darüber zu freuen, was mit der Musik passiert. Es muss aber nicht alles perfekt sein. Am eigenen Anspruch kann man als Band regelrecht zerbrechen. Viele Leute halten Musiker für etwas Besonderes. Aber wir sind auch nur Menschen, die ihren inneren Schweinehund überwinden müssen. Das Wort "Star" mag ich überhaupt nicht.
Erfolgreiche Musiker führen oft ein Leben auf der Überholspur. Wo finden Sie eine Konstante im Leben?
NOWAK: Als Musiker kann man sich sehr leicht in einer schnellen Welt verlieren. Wir versuchen deshalb auch Kontakte zu pflegen, die noch aus der Zeit vor dem Erfolg stammen. Mit einem guten sozialen Netz kann man eigentlich nicht verloren gehen.
KLOSS: Gerade als Songschreiber reflektiert man sehr viel, weil man ständig seine Umwelt beobachtet. Aber ich tausche mich auch mit anderen Musikern aus, die einen ähnlichen Blickwinkel haben wie ich.
Sie waren letztes Jahr auf Kuba. War diese Reise auch eine musikalische Inspiration?
STOLLE: Kuba hat unseren Horizont auf jeden Fall erweitert und Spuren hinterlassen. Obwohl es den Kubanern lange nicht so gut geht wie uns Deutschen, tragen sie unglaublich viel Lebensfreude im Herzen. Die kubanischen Musiker fangen nicht vor 17 Uhr an. Bevor der erste Ton erklingt, trinken sie erst mal einen Rum auf Eis. Das waren alles ganz neue Erfahrungen. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass jemals jemand zu "Sinfonie" tanzen würde. Das ist den kubanischen Musikern super gelungen.
2008 haben Sie die Zittauer Nachwuchsband Jenix im Rahmen des Projektes IdeenSounds gefördert. Was steckt dahinter.
NOWAK: Wir kennen die Spielregeln, sind aber kein typisches Majorprodukt. Wir spielen die Regeln nicht mit und bestimmen alles selbst von Homepage über Plakat bis Video. Den Konflikt zwischen Kreativität und Kommerz wird es immer geben. Für uns ist Musik Gefühl, für die Plattenfirma ein Produkt. Die Musikszene ist unheimlich schnelllebig geworden und große Labels haben sich in den letzten Jahren zum Teil negativ entwickelt. Wer nicht sofort schwarze Zahlen schreibt, wird gefeuert. Mehr und mehr Bands versuchen deshalb, sich selbst zu vermarkten. Wir möchten das ein klein wenig unterstützen und nehmen uns in jeder Stadt eine lokale Vorband. Wir wissen, wie schwer es für junge Gruppen ist, an Auftritte ranzukommen.
Haben Sie für Ihre aktuelle Hallentournee ein spezielles Konzept entwickelt?
KLOSS: Auf die Art und Weise, wie wir unsere Musik spielen, hat die Größe der Hallen keinerlei Einfluss. Ich agiere so, dass ich auch noch die hinterste Reihe erreiche. Aber wir überlegen uns schon, wie man die Emotionen eines Liedes noch verstärken kann.