Literarisches Sachbuch

Thomas Mann im Exil - ein Panorama von Florian Illies

Florian Illies schrieb mit «1913», «Liebe in Zeiten des Hasses» und «Zauber der Stille» erfolgreiche Bestseller. (Archivbild) | © Arne Dedert/dpa

24.10.2025 | 24.10.2025, 09:32

Florian Illies verwandelt auch in seinem neuen Buch Zeitgeschichte in lebendige Erzählungen. Mit feinem Gespür für Details entwirft der Bestseller-Autor in «Wenn die Sonne untergeht» ein Panorama der Literaturszene um Thomas Mann und seine Familie im südfranzösischen Exil - voller überraschender Einblicke und sommerlicher Intrigen.

Sanary ist im Jahr 1933 ein eher unbedeutender Fischerort an der Côte d‘Azur. Kaum 3000 Einwohner zählt die Gemeinde unweit von Toulon. Ein kleiner, betriebsamer Hafen, ein paar Cafés und Geschäfte. Mondän geht anders. Aber das Städtchen hat zweifellos seinen Charme und ist preiswert, weshalb es bei Pariser Künstlern angesagt ist.

Illies seziert die komplexe Literatenfamilie in munterem Plauderton

Der Autor auf der Frankfurter Buchmesse. (Archivbild) - © Arne Dedert/dpa
Der Autor auf der Frankfurter Buchmesse. (Archivbild) | © Arne Dedert/dpa

Als dann Hitler an die Macht kommt, wird das beschauliche Sanary mit einem Schlag zum Zufluchtsort für deutsche Literaten. Einen heißen Sommer lang logiert hier die Crème de la Crème der deutschen Exil-Literatur, in ihrem Mittelpunkt Thomas Mann und seine Familie.

Schon sein erster Roman «Buddenbrooks» machte ihn weltberühmt: Thomas Mann (undatiert). - © dpa
Schon sein erster Roman «Buddenbrooks» machte ihn weltberühmt: Thomas Mann (undatiert). | © dpa

Illies («1913», «Liebe in Zeiten des Hasses», «Zauber der Stille») nimmt diese kurze Episode im Leben der Manns zum Anlass, die ebenso berühmte wie hochkomplexe Literatenfamilie zu sezieren.

«Wenn die Sonne untergeht» ist in munterem Plauderton gehalten und gründet sich auf zahlreiche Tagebücher und Memoiren, die die bunte Emigrantengemeinde von Sanary hinterlassen hat, so etwa der jüdische Schriftsteller Lion Feuchtwanger. Es gelingt Illies, auch bisher weniger beachteten Mann-Kindern wie Tochter Monika ein Profil zu geben.

Thomas Mann hört vor lauter Stress mit dem Schreiben auf

«Wir sind eine erlauchte Versammlung - aber einen Knacks hat jeder», hat Thomas Mann einmal hellsichtig in seinem Tagebuch über seine Familie notiert. Die Exil-Situation bedeutet für die «erlauchte Versammlung» eine besondere Herausforderung, mit der jedes Familienmitglied ganz unterschiedlich umgeht. Während Thomas Mann vor lauter Stress mit dem Schreiben aufhört und die Familienmanagerin Katia krank wird, entfalten einige der sechs Kinder wie die pragmatische Erika ungeahnte Energien. Die beiden Jüngsten, Michael und Elisabeth, genießen die Monate in Sanary ganz unschuldig als Ferienzeit.

Thomas Mann selbst sträubt sich lange gegen die Einsicht, Deutschland dauerhaft zu verlassen. Es sind seine ältesten Kinder Erika und Klaus, die ihn drängen, von einer Vortragsreise im Ausland nicht mehr zurückzukehren. Beide vertreten eine entschieden kompromisslosere Haltung gegenüber den Nationalsozialisten als der Vater und liegen deshalb mit ihm im Clinch.

Thomas Mann dagegen hasst es, als Emigrant bezeichnet zu werden: «Er hat das Gefühl, das sei unter seinem Niveau.» Neben einer gewissen Gekränktheit ist es auch die Sorge um den in München zurückgelassenen Besitz, die ihm und seiner Frau Katia während der Zeit in Sanary zu schaffen macht. Hier nun wiederum verdient sich der ungeliebte Sohn Golo besondere Meriten. Es gelingt ihm nämlich, eine hohe Geldsumme und die Tagebücher seines Vaters von Deutschland ins Ausland in Sicherheit zu bringen. Die raffinierte Rettungsaktion steigert seinen Status unter den Kindern.

Im Tagebuch notiert Mann «Hustenneigung» und «Durchfall»

Mit subtiler Ironie zeichnet Illies nach, wie auch unter südlicher Sonne die steifen Gepflogenheiten aus der Poschingerstraße in München unerbittlich fortgeführt werden. Genau eingehaltene Essensrituale, hochintellektuelle Gespräche am Mittagstisch, die einige Kinder wie die wenig geschätzte Tochter Monika in Angst und Schrecken versetzen. Auch die peinlich genaue Beobachtung seiner Gesundheit setzt Thomas Mann in seinem Tagebuch akribisch fort, er notiert «Hustenneigung» und «Durchfall», dann auch mal «Neigung zur Gesichtshitze».

Der etwas verkrampfte Alltag der Manns steht im scharfen Kontrast zum lässigen Lebensstil anderer Emigranten in Sanary. Da wäre zunächst Heinrich Mann, der zum Schrecken von Bruder und Schwägerin seine in deren Augen ordinäre Geliebte Nelly Kröger von Berlin nach Südfrankreich nachkommen lässt.

Lion Feuchtwanger und Aldous Huxley in Dreiecksbeziehung

Besonders amüsant beschreibt Illies, wie die Schriftsteller Lion Feuchtwanger und Aldous Huxley in fast identischen, zänkischen Dreiecksbeziehungen mit Ehefrau und Geliebter zusammenleben. Lion Feuchtwanger und seine Frau Marta führen zudem einen extrem fitnessorientierten, hyperaktiven Lebensstil, der Thomas Mann umso gesetzter und altväterlicher erscheinen lässt.

Andere Künstlerinnen und Gesellschaftsdamen mit exzentrischen und teilweise ruinösen Gewohnheiten beleben das Bild. Illies entfaltet das bunte Panorama eines Exils als schillernder sommerlicher Zwangsgemeinschaft, wie sie unter gewöhnlichen Umständen niemals möglich gewesen wäre. Insofern fügt dieses Buch dem Thomas-Mann-Bild einen spannenden Aspekt hinzu.