Berlin. Der Zweite Weltkrieg liegt in den letzten Zügen und auch die nordfriesische Insel Amrum bekommt dessen Ausläufer zu spüren. Britische Bomberverbände überfliegen das Eiland, um weiter im Landesinneren ihr zerstörerisches Werk zu verrichten. Flüchtlinge aus Schlesien und Ostpreußen treffen ein.
Auch der zwölfjährige Nanning (Jasper Billerbeck) ist kein Eingeborener, er ist mit seinen beiden jüngeren Geschwistern und seiner Mutter Hille (intensiv: Laura Tonke) aus dem kriegsgebeutelten Hamburg zugezogen. Sein Vater ist in Kriegsgefangenschaft geraten. In dem Haus, vor dem die Hakenkreuzflagge weht, lebt auch Tante Ena (Lisa Hagmeister). Um die Familie zu ernähren, rackert Nanning mit seinem besten Freund Hermann (Kian Köppke) auf dem Kartoffelacker von Tessa (Diane Kruger), die keinen Hehl aus ihrer Verachtung für die Nazis macht.
Nannings Mutter hingegen ist glühender Hitler-Groupie. Sie will die Niederlage nicht wahrhaben und verfällt in Postpartale Depression, nachdem Spross Nummer vier das Licht der Welt erblickt hat. Hille nimmt nichts mehr zu sich, einzig mit einem Weißbrot mit Butter und Honig könnte man sie noch bestechen.
Nanning setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um seiner Mutter diesen Wunsch zu erfüllen, selbst wenn er für Onkel Onno (Jan Georg Schütte), einen überzeugten Nazi, noch einmal die Pimpf-Uniform überstreifen, Gänsen ihre Eier stehlen und unter Lebensgefahr den Kampf gegen die Flut aufnehmen muss.
„Amrum“ ist kein langer Film, er währt gerade einmal anderthalb Stunden. Trotzdem trägt er epische Züge. Die Erzählung widmet sich dem Wert der kleinen Dinge, der in widrigen Zeiten unschätzbar sein kann. Aufzeigt werden auch die großen Stärken und erbärmlichen Schwächen, die Menschen in Ausnahmesituationen an den Tag legen, ohne etwas zu glorifizieren oder billig pauschal zu beurteilen.
Entstanden ist ein großartiger Film über das Erwachsenwerden, über Freundschaft, familiären Zusammenhalt und Heimat. Regisseur Fatih Akin zieht alle Register, aber sehr behutsam. Er setzt auf leisen Humor, knisternde Spannung und schöne, aber nicht hochglänzende Bilder.
Der Newcomer Jasper Billerbeck in der Hauptrolle ist eine Offenbarung. Er liefert einen jener Auftritte, bei denen man sich als Zuschauer nicht erklären kann, wie ein Kind für eine Geschichte auf Kommando eine solche Tiefe herzustellen vermag. Natürlich ist die gesamte Besetzung erlesen. Neben Diane Kruger, die sich den alten Inseldialekt Öömrang draufschaffte, den nur noch etwa 60 Menschen beherrschen, geben unter anderem die Regisseure Detlev Buck, Lars Jessen und Jan Georg Schütte prächtige Inselbewohner ab.
Matthias Schweighöfer hinterlässt mit einen Gastauftritt einen bleibenden Eindruck. Fatih Akins Frau Monique zeichnet übrigens für das Casting des erwachsenen Ensembles verantwortlich.