Interview

Von Genesis bis Grunge: Ray Wilson und seine Band kommen nach Bielefeld

Ray Wilson, Ex-Sänger von Stiltskin und Genesis, ist aktuell auf Europa-Tournee. Am 3. Oktober kommt der 57-Jährige mit seiner Band nach Bielefeld. Wir haben mit ihm über Ruhm, Rückschläge und Hoffnung in düsteren Zeiten gesprochen.

Ray Wilson auf der Bühne: Der ehemalige Genesis- und Stiltskin Sänger begeistert mit seiner markanten Stimme und charismatischen Präsenz. | © Ina Jahn

20.09.2025 | 20.09.2025, 22:47

Ray, am 3. Oktober trittst du mit deinem Programm „Genesis Classics“ im Forum in Bielefeld auf, dem legendären Club, in dem im November 1989, damals noch in der ostwestfälischen Kleinstadt Enger beheimatet, eine damals relativ unbekannte Band aus Seattle namens Nirvana ihren unverwechselbaren Sound spielte, der später als „Grunge-Musik“ bekannt wurde. Mit deiner Grunge-Band „Stiltskin“, dem Song „Inside“, einem Jeans-Label und einem Werbespot begann 1994 deine internationale Karriere. Was war da los?

RAY WILSON: Wir erreichten im Mai 1994 Platz 1 in den englischen Charts. Es war eine großartige Zeit, und ich erinnere mich, dass ich in jenem Jahr hörte, dass Kurt Cobain gestorben war, als wir nach Liverpool fuhren, um für Stiltskin zu werben. Ich glaube, wir haben den Musikmarkt mit unserem Post-Grunge/keltischen Sound genau zur richtigen Zeit getroffen. Bands wie Nirvana und Pearl Jam waren zu dieser Zeit sehr populär, und in Großbritannien gab es Stiltskin und Bush. Bush wurde in den USA erfolgreicher und Stiltskin in Europa. Nachdem wir jahrelang in Bars und Clubs gespielt und versucht hatten, erfolgreich zu sein, passierte das alles plötzlich. Das war für uns sehr aufregend.

Du wurdest in Dumfries im Süden Schottlands geboren, der Stadt, in der der berühmte schottische Dichter Robert Burns begraben ist. Wie Burns schreibst du Texte, die zum Lyrischen tendieren. Siehst du dich als Dichter?

Sicherlich nicht auf dieser Ebene. Dumfries ist eine interessante Stadt. Sie hat nur 40.000 Einwohner, aber sie hatte schon immer einen großen kreativen Geist. Robert Burns, Calvin Harris, J.M. Barrie (Peter Pan) waren alle in meiner Schule, natürlich zu unterschiedlichen Zeiten. Aber ja, Robert Burns hat die Stadt berühmt gemacht. „Auld Lang Syne“ ist das bekannteste seiner Lieder. Vielleicht war da etwas im Wasser, wie wir sagen. Höchstwahrscheinlich Whisky.

Du lebst jetzt in Poznan, früher Posen. Was hat dich als Schotte nach Polen verschlagen und wie lebst du dort? Welche Bedeutung hat der Ort für dich in Bezug auf deine Kreativität?

Ich wohne mitten in der Stadt. Ich habe es immer geliebt, kein Auto zu brauchen und alles zu Fuß erreichen zu können. Ich wohne seit 13 Jahren in einem Gebäude aus deutscher Zeit. Da ich die meisten Reisen in Mittel- und Osteuropa unternehme, ist die Lage der Stadt ideal. Sie hat eine ähnliche Größe wie Edinburgh, wo ich vorher gelebt habe, also nicht zu groß und nicht zu klein. Ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal in Polen landen würde, aber um ehrlich zu sein, hat es mir sehr gutgetan.

1996 bist du als Leadsänger von Genesis in die Fußstapfen von Phil Collins getreten, hast an dem letzten Genesis-Album „Calling All Stations“ mitgewirkt und bist 1997 mit der Band auf Europa-Tournee gegangen. Dann löste Gitarrist Mike Rutherford die Band auf. Wie hat sich die Erfahrung, Sänger der berühmten Popband Genesis zu sein und das Projekt nach kurzer Zeit sterben zu sehen, auf deine kreative Arbeit ausgewirkt?

Genesis war zu dieser Zeit eine der größten Rockbands der Welt. Es war wirklich etwas Besonderes, dabei zu sein. Das Frustrierende war, dass Mike beschloss, nicht mehr weiterzumachen, als die Band wirklich zu einer festen Einheit mit großartigem Sound wurde. Das war meiner Meinung nach der Zeitpunkt, um wieder mit dem Schreiben anzufangen und so unseren eigenen, neuen Genesis-Sound zu entwickeln. Ich denke, dass ich meine eigenen Genesis-Versionen zu meinem eigenen Sound entwickeln konnte. Vor allem die Songs vom Album „Calling All Stations“. Sie sind rockiger und wirklich gute Live-Songs. Für mich hat der Genesis-Sound nie aufgehört, sich zu entwickeln. Kürzlich mit Steve Hackett zu singen, hat mich auch daran erinnert, wie zeitlos diese Songs sind. Ich hoffe, ich werde sie auch in 25 Jahren noch singen.

„Es gibt nichts Schöneres, als Musik mit einem Publikum zu teilen.“

Euer neues Album „Upon My Life“ enthält zwei brandneue Stücke: „Come the end of the world“ und „I wait and I pray“. Du sagst, dass beide Songs von der politisch verwirrten, ökologisch veränderten und polarisierenden Welt, in der wir heute leben, inspiriert sind. Kannst du das erläutern?

Nun, ich denke, die Titel sagen schon alles. „Come the end of the world“ wurde hauptsächlich durch den Gedanken inspiriert, dass meine Tochter in der Welt aufwächst, wie sie heute ist. Eine sehr beängstigende Aussicht für sie und meine anderen zwei jüngeren Töchter. Allerdings tröstet mich die Tatsache, dass sechs Jahre vor meiner Geburt heimlich Atomraketen in Kuba stationiert wurden, die auf die USA gerichtet waren, und wir alle heute noch hier sind und leben. Die Welt ist nicht untergegangen. So können wir hoffentlich wieder zu einer friedlicheren Welt kommen, auch wenn es im Moment sicher nicht danach aussieht. „I wait and I pray“ spiegelt dieses Gefühl wider. Ironischerweise habe ich irgendwo gelesen, dass seit dem Tod von David Bowie alles den Bach runtergegangen ist, aber ich bin hoffnungsvoll. Bowie hat mich als junger Musiker inspiriert. Er hat sich immer wieder neu erfunden. Hoffentlich können wir einen Weg finden, das auch zu tun.

Du bist seit 2002 quasi ununterbrochen auf Tournee und spielst oft mehr als 150 Gigs im Jahr – man kann dich also wirklich als Live-Künstler bezeichnen. Was treibt dich an, jeden zweiten Tag auf der Bühne zu stehen und Abend für Abend alles zu geben?

Die Tatsache, dass ich nicht ohne die Bühne leben kann. Sie ist die treibende Kraft in meinem Leben, seit ich mit 14 Jahren in der Schule auf der Bühne stand und Jean Jeanie, After The Goldrush und Carpet Crawlers sang. Als ich im Alter von 21 Jahren anfing zu touren, habe ich es ironischerweise wirklich gehasst. Ich bekam schnell Heimweh. Jetzt dagegen kann ich ohne das Touren nicht leben. Ich glaube, es ist eine spirituelle Erfahrung, die süchtig macht. Es gibt nichts Schöneres, als Musik mit einem Publikum zu teilen und gemeinsam auf eine Reise zu gehen. Das ist magisch.

Du tourst viel durch Deutschland und hast mit unglaublichen Künstlern aus allen Genres zusammengearbeitet, von Rock über Prog bis Techno, darunter Armin van Buuren, Steve Hackett, Turntablerocker, RPWL, Scorpions und Patrycja Markowska. Fühlst du dich in all diesen Genres zu Hause und wie kombinierst du die verschiedenen Stile? Was bedeutet es für dich, mit so vielen verschiedenen Künstlern zusammenzuarbeiten?

Ich habe mich in erster Linie als Sänger gesehen. Man entdeckt immer etwas Neues, wenn man mit anderen Künstlern zusammenarbeitet, und es entstehen tolle Erinnerungen und Songs. Gesanglich musste ich mich anpassen und neue Wege finden, um die Songs überzeugend rüberzubringen. Es ist eine Herausforderung, einen Song authentisch klingen zu lassen, vor allem, wenn er nicht aus der eigenen Feder stammt. „Big City Nights“ mit den Scorpions war ein Beispiel dafür, oder „Dreams“ mit Delores O’Riordion in London zu singen. Ich liebe solche Situationen. Vor allem, wenn der Künstler, mit dem man arbeitet, ein so hohes Niveau hat.

Was ist noch wichtig mitzuteilen?

Wir erleben alle die gleichen Ängste im Leben. Die Ungewissheit der Welt, die wir alle teilen. Ich bin nicht der Einzige, der auf bessere Tage wartet. Es scheint, als würden wir nie aus der Geschichte lernen, also denke ich, dass wir wissen, wohin die Dinge wohl gehen werden. Wir werden Musik und Kunst mehr denn je brauchen, um uns zu befreien.

Hintergrund

Ray Wilson, geboren am 8. September 1968 in Dumfries, Schottland, wurde in den 90er-Jahren mit der Band Stiltskin und deren Hit „Inside“ bekannt. Internationale Berühmtheit erlangte er, als er 1996 neuer Sänger von Genesis wurde und das Album „Calling All Stations“ mitprägte. Seitdem ist Wilson solo unterwegs und begeistert mit seiner markanten Stimme, starken Songs und der charismatischen Bühnenpräsenz. Heute lebt er in Polen und gilt als einer der authentischsten Livemusiker seiner Generation – ein Künstler, der große Klassiker ebenso eindrucksvoll interpretiert wie seine eigenen Kompositionen.

Ray Wilson & Band live in Bieledeld

Freitag, 3. Oktober, 20 Uhr, Forum, Bielefeld;

Karten (44,15 €): NW und hier.