Interview

„Das Wichtigste ist, dass das Ding voll knallt“

Jan Phillip Eisfeld alias Jan Delay navigiert seit einem Vierteljahrhundert souverän durch Hip-Hop, Funk, Rare Grooves, Disco, R ’n’ B, Reggae und Rock. Jetzt hat er ein Best-of-Album veröffentlicht, mit dem er im Sommer auf große Open-Air-Tour geht.

Stets modisch schick: Nicht nur musikalisch hat Jan Delay einiges zu bieten, auch mit seinem Style setzt er immer wieder Maßstäbe. | © picture alliance/dpa/WDR Westdeutscher Rundfunk

07.05.2024 | 24.05.2024, 14:49

Jan, „Forever Jan (25 Jahre Jan Delay)” ist Ihr erster Karriereüberblick. Ein Best-of-Album markiert ja immer einen Wendepunkt. Ist damit eine bestimmte Phase abgeschlossen?

JAN DELAY: Es ist eine romantische Vorstellung, dass ein Best-of-Album einen Wendepunkt markiert. Bei mir ist eher der Moment gekommen, wo die Plattenfirma sagt, wir veröffentlichen jetzt mal ein Best-of-Album. Die machen in Zeiten von Streaming eigentlich gar keinen Sinn mehr, aber ich bin einer der wenigen Künstler, der noch physische Tonträger verkauft. Ich habe total Bock darauf, dieses Album und die Tour abzufeiern, aber es ist kein Wendepunkt.

Auf dem Album sind auch zwei brandneue Songs. Ist es heute leichter, einen Hit zu schreiben, weil praktisch alles über eine Computerdatei läuft?

Nö, überhaupt nicht. Die Technik erleichtert vieles, aber durch die Simplifizierung ist es für alle machbar geworden. Es kann heute nichts wirklich Eigenes mehr entstehen. Unter rudimentären Bedingungen haben sich früher riesengeile Sachen ergeben, die Grundlage für große Hits waren. Im Prinzip kann man jetzt ins Studio gehen und der KI sagen: Ich will einen Vocal-Pop-House-Song in C-Dur auf 127 Bpm. Und dann macht sie dir solch einen Beat, und den kannst du dann ein bisschen verändern. Aber einen Hit hinzukriegen ist heute genauso schwer wie vor 50 oder 100 Jahren.

Was braucht ein Song, damit er richtig knallt?

Das Wichtigste ist, dass das Ding voll knallt. Dass man das Ganze kapiert, egal ob man die Sprache im Song spricht oder nicht. Der Groove, die Melodien und die Harmonien sind das A und O. Wenn du den Vierjährigen im Sack hast, musst du von da aus hochgehen. Sprichst du so viele Altersgruppen wie möglich an, hast du einen potenziellen Hit. Solltest du ihn aber mit Kindermucke oder Schlumpftechno im Sack haben, sind alle über Vier genervt. Also wird es schwer mit dem Hit.

Ihre Tochter ist zehn. Fungiert Sie für Sie zuweilen als musikalische Beraterin?

Ja, sie ist wirklich ein wichtiger Ratgeber, weil sie sich so entwickelt und verändert, dass ich manchmal baff bin. Sie denkt aber nicht, dass ihr Papa die tollste Musik überhaupt macht, sondern dass das sein Job ist. Sie interessiert sich für alles, was ich mache, hört aber natürlich ganz andere Musik.

Wie innovativ darf ein Hit sein?

Diese Frage kann ich nicht objektiv beantworten, denn jeder hat eine andere Auffassung von einem Hit und wie er entstehen kann. Ein Song kann komplett innovativ oder ausgefallen sein und trotzdem ein unfassbarer Welthit werden. Hätte ich Ihnen vor 21 Jahren „Seven Nation Army“ von The White Stripes vorgespielt und behauptet, es würde für ein paar Jahre der größte Song der Welt werden, würden Sie mich für bescheuert halten. Das Stück klingt komisch und besteht ja nur aus einer Bassline und einer abgefuckten Kickdrum. Das zeigt, dass du innovativ sein und einen Riesenhit haben kannst. Kein Algorithmus kann die Schwingungen herstellen, die dafür sorgen, dass ein Song entsteht.

„Das perfekte Konzert beinhaltet auch ein perfektes Publikum.“

Es ist auffällig, dass Bewegungen wie Kundgebungen für Demokratie oder der Klimaaktivismus keine Hymnen besitzen, keinen Soundtrack. Wieso läuft der Widerstand gegen die Apokalypse ohne Popmusik ab?

Entweder fehlt es an dem richtigen Lied oder dem richtigen Künstler. Vielleicht ist es auch so schwierig, weil heutzutage so viele Dinge auf die Goldwaage gelegt werden. Du musst als Künstler tausendmal mehr aufpassen, was du sagst, als diejenigen, die deinen Song zu einer Hymne machen. Es ist alles so sensibel geworden.

Heutzutage wollen sich alle gegenseitig möglichst wenig weh tun. Wie denken Sie über die hypersensible, achtsame Debattenkultur der Gegenwart?

Diese Kultur ist gerade auf der linken Seite zuhause, und das macht es oft schwierig, zusammen an einem Strang zu ziehen. Meistens ist es für langweiligere Kunst leichter, größeren Anklang zu finden, weil spannende Kunst oft irgendjemanden anpisst. Aber das war ja eigentlich immer schon so.

Machen Sie sich beim Texten heute mehr Gedanken als früher?

Das alles hat meine Alarmglocken sicher noch einmal geschärft, aber ich finde es gut, dass ich mich verändere und Menschen Wörter, die verletzen, aus ihrem Sprachgebrauch streichen. Aber nicht aus Zwang, sondern, weil es eine gute Sache ist. Bei dem Song „Türlich, türlich“ von Das Bo und mir zum Beispiel gab es anfangs die Zeile „Gucken spastisch aus der Wäsche wie gekaut und ausgepuckt“. Irgendwann wurde mir bewusst, „spastisch“ ist diffamierend. Seitdem sage ich lieber „dümmlich“.

In der Sammlung legendärer Nebenprojekte und Raritäten ist der Song „17:30“ enthalten. Textprobe: „Jetzt ist schon 15 Uhr, und ich noch im Pyjama/Laufe durch die Wohnung, und ich rauch’ Marihuana, ja, ja“. Ist das als Hommage an Cannabis zu verstehen?

Ich weiß nicht, wie ich diese Frage deuten soll. Auf jeder meiner Platten ist doch irgendwo eine Hommage an Cannabis. Das ist für mich etwas Selbstverständliches.

An dem neuen „Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis“ scheiden sich die Geister. Friedrich Merz hat angekündigt, es zu kippen, sollte er im kommenden Jahr Bundeskanzler werden.

Ach, das machen die nicht, das wäre doch viel zu peinlich. Wir sind ja fast noch das letzte Bauernland, wo das noch nicht erlaubt war. Geht mit der Zeit, Leute! Schön und gut, dass ihr konservativ seid, aber ihr könnt auch Geld damit verdienen. Ich war gerade in Nevada, einem Wüstenbundesstaat, wo nur rechte Christen wohnen. Selbst da darfst du kiffen. Aber man muss darüber nicht mehr reden, es ist ja jetzt passiert.

Sie gehen in der warmen Jahreszeit auf Best-of-Open-Air-Tour. Als erfolgreicher Künstler ist man ja die ganze Zeit umringt von Leuten, die applaudieren. Was macht das mit einem?

Es gibt bestimmt auch Musiker, bei denen niemand applaudiert. Man muss sich das ja auch verdienen. Ich bin dafür sehr dankbar und hebe auch nicht ab, sondern ich analysiere den Applaus lieber. Meine Antennen sind fein justiert. Ich bin eher der Typ, der hinhört, wie laut die Leute bei welchem Song klatschen, um zu merken, welche Titel wichtig sind, live gespielt zu werden und welche eher nicht. Nicht das Lied, bei dem die Leute am meisten springen, ist das Tollste, sondern es gibt auch viele andere Momente in der Musik.

Wie oft erleben Sie vollkommene Konzerte, die zu Hundert Prozent gelingen?

Ich will jetzt nicht blasiert klingen, aber das kommt schön öfters vor. Es gibt viele Aspekte außerhalb der Ebene, die wir als Musiker unter Kontrolle haben. Das perfekte Konzert beinhaltet auch ein perfektes Publikum, das das genauso empfindet wie wir. Oder tolles Wetter oder eine wunderschöne Kulisse. Aber wenn es nur darum geht, was wir da auf der Bühne abliefern, dann ist das perfekte Konzert gar nicht so selten.

Über den Interviewpartner

Jan Delay oder manchmal auch Eizi Eiz, heißt bürgerlich Jan Philipp Eißfeldt und ist am 20. Februar 1976 in Hamburg geboren. 1991 gründete er mit sieben Freunden die Hip-Hop-Band Absolute Beginner. Die Single „Liebes Lied“ sorgte 1998 für den Durchbruch der Band. Doch Jan Delay wollte nicht hinter den Kulissen agieren, 2001 veröffentlichte er sein erstes Soloalbum „Searching for the Jan Soul Rebels“ auf dem vor allem Funk zu hören war. Im August 2006 folgte „Mercedes-Dance“, das den ersten Platz in der deutschen Hitparade erreichte und mit einer Platin-Schallplatte ausgezeichnet wurde. Auch „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“ von 2009 stieg auf die Spitzenposition der Charts in Deutschland. Delay deckt musikalisch (fast) die gesamte Bandbreite der Musik ab, von Reggae über Soul, von Partymucke bis Funk, von Hip-Hop-Klängen bis Rock.

Jan Delay & Disko Nr. 1 live

Samstag, 20.7., 19 Uhr, Schloß- und Auenpark, Paderborn. Karten (54,05 €) gibt es hier.