
Netflix hat im Sommer - unbemerkt von vielen - versucht, sein eigenes „Star Wars" zu starten. Zack Snyders Zombie-Epos „Army of the Dead" sollte dem Streaminganbieter endlich das geben, was aktuell alle Studios anstreben: ein eigenes großes Filmfranchise mit Fortsetzungen, Prequels und dazugehöriger Anime-Serie. Es ging um eine Gruppe Söldner, die angeheuert werden, um im zombieverseuchten Las Vegas einen legendären Safe zu knacken. Doch der Film ging den Weg so vieler Netflix-Originals: nach dem Erscheinen bringt Netflix eine Pressemitteilung heraus, dass eine Rekordanzahl von Zuschauern den Film geguckt hätten (mit Zahlen, die sich nicht überprüfen lassen) und ein, zwei Wochen später spricht niemand mehr darüber.
Es ist leicht, zynisch zu werden, wenn die Vorgeschichte zum Film schon geplant war, bevor überhaupt klar war, ob es „Army of the Dead"-Fans geben wird. Dass sie nun nicht mal ein halbes Jahr später erscheint, ausgerechnet von und mit Deutschlands Lieblings-Fahrstuhlmusik-Sänger Matthias Schweighöfer, macht auch nicht wirklich Mut. Doch Überraschung: „Army of Thieves" ist nicht nur Schweighöfers beste Regiearbeit bisher, sondern auch ein starker zweiter Film in einer immer interessanter werdenden Reihe.
Wer „Army of the Dead" tatsächlich gesehen hat, weiß natürlich, dass Schweighöfer in dem Film ohne Übertreibung phänomenal ist. Auch im Prequel spielt er wieder Ludwig Dieter, den absolut seltsamen, aber weltbesten Safecracker. Nur dass er hier noch Sebastian heißt und ein schüchterner Bankangestellter in Deutschland ist. Doch er wird von der mysteriösen Gwendoline (Nathalie Emmanuel) für seinen ersten großen Raubzug rekrutiert. Zusammen mit einer kleinen Bande soll er drei Tresore knacken, die vom legendären Schlosser Hans Wagner erbaut wurden.

Natürlich gibt es Spannungen im Team, besonders mit Möchtegern-Actionheld und Gwendolines Liebhaber Brad Cage (Stuart Martin). Auch ein cholerischer Interpol-Agent (Jonathan Cohen), dem Brad bei einem früheren Raubzug in den Hintern geschossen hat, macht den Dieben das Leben schwer. Und dann ist da ja noch die beginnende Zombie-Apokalypse in den USA

Ziemlich wenig Zombies für einen Zombiefilm
Die Untoten kommen in „Army of Thieves" aber tatsächlich nur am Rande vor – unter anderem in einem (vielleicht nicht unbedingt absichtlich) urkomischen Cameo-Auftritt von Dunya Hayali. Die ZDF-Journalistin muss bei einem Nachrichtenbericht zusehen, wie ihr Amerikakorrespondent live von Zombies gefressen wird. "Army of Thieves" spielt aber im (noch) zombiefreien Europa. Im Herzen ist der Film durch und durch ein "Heist-Movie". In diesem Genre, für das es leider keinen deutschen Titel gibt, liegt der Fokus alleine auf der Planung und Durchführung eines Raubüberfalls. Die drei Einbrüche in die Übertresore sind auch die spannendsten Sequenzen des Films.

Es ist als wäre Matthias Schweighöfer als Regisseur endlich zu Hause angekommen. Seit er mit „What a Man" seine Karriere hinter der Kamera begonnen hatte, wirkte es schnell so, als würde er eigentlich alles andere machen wollen, nur nicht romantische Komödien. Was dazu führte, dass seine angeblichen Komödien schwer verstörende Filmsequenzen enthielten. Wie zum Beispiel das Penis-beißende Frettchen aus „Vaterfreuden".
Wie sich nun zeigt, passt sein Stil eher zu Thrillern und Horrorfilmen als zu Beziehungsgedöns. Während der drei Überfälle ist seine Kamera dynamisch und Schweighöfer bringt genug Abwechslung in die Einbrüche, dass es auch beim dritten Mal spannend bleibt, ob Sebastian/Ludwig den Safe geknackt bekommt.
Schweighöfer kann nicht mehr der komische Deutsche im Team sein
Auch schauspielerisch bringt Schweighöfer seine bis jetzt beste Leistung in einem seiner eigenen Projekte. Auch wenn er hier nicht so phänomenal ist wie in „Army of the Dead". Dort konnte er aber auch einfach der seltsame Deutsche im Team sein, der bizarre Fragen zum Zombie-Töten stellt, und dann für eine Weile verschwindet. In „Army of Thieves" ist er nun in fast jeder Szene und muss als konventioneller Hauptdarsteller herhalten, mitsamt etwas holprig erzählter Liebesgeschichte. Das ist etwas weniger interessant, bietet aber trotzdem noch genug Exzentrik, um zu unterhalten. Die größte Schwäche des Films sind dann auch die ruhigeren Szenen mit der Einbechercrew zwischen den großen Action-Einlagen. Dabei verfällt Schweighöfer zu oft darin, Dialoge TV-mäßig starr abzufilmen. Das Momentum des Films hilft aber so gut es geht über diese Stellen hinweg.
Von diesen kleinen Schönheitsfehlern abgesehen ist „Army of Thieves" definitiv der bis jetzt größte Qualitätssprung in Schweighöfers Regielaufbahn. Jetzt wo einer der größten Stars des deutschen Kinos den Genrefilm für sich entdeckt, ist sogar spannend, was er als nächstes angehen wird. Auch als Teil des „Army of the Dead"-Universums macht der Film Lust auf mehr Abstecher. Bleibt nur zu hoffen, dass Netflix den zweiten Teil nicht wieder nach der ersten Pressemeldung verschwinden lässt.
"Army of Thieves", 127 Minuten, Starttermin: Freitag, 29. Oktober, Netflix.