
„Ist das nicht etwas zu hart? Ihr habt 22 Morde vor euch", streiten sich Otto (Nikolaj Lie Kaas) und Markus (Mads Mikkelsen), nachdem die Dinge völlig aus dem Ruder gelaufen sind. In einer Szene, die sich komplett um die realistische Logistik eines blutigen Hollywood-Rachefeldzugs dreht. „Helden der Wahrscheinlichkeit" ist ein Film, der die mutige These aufstellt: Vielleicht hilft es bei einem Trauerfall mehr, zur Therapie zu gehen, als sich mit einer Gruppe krimineller Biker anzulegen.
Außerdem geht es darum, wie der Diebstahl eines Fahrrads dazu führen kann, dass eine Menge Leute sterben. Der besagte Diebstahl ist nämlich einer von mehreren Zufällen, die dafür sorgen, dass Statistiker Otto zusammen mit Markus Frau Emma (Anne Birgitte Lind) und Tochter Mathilde (Andrea Heick Gadeberg) im selben Zugabteil sitzen. Otto will nett sein und bietet Emma seinen Platz ein. Sekunden später ist sie tot. Denn der Zug kollidiert mit einem abgestellten Wagon – genau auf der Zugseite, wo Emma gerade den Platz angenommen hat.

Weil ein wichtiger Kronzeuge ebenfalls bei dem Unfall stirbt, glaubt Otto nicht an einen Zufall. Zusammen mit den Informatikern Lennart (Lars Brygmann) und Emmenthaler (Nicolas Bro) findet er heraus, dass die Biker-Gang „Riders of Justice" den Unfall inszeniert haben könnte, um den ungeliebten Zeugen loszuwerden. Da die Polizei ihnen nicht glaubt, holen sie den trauernden Markus mit ins Boot. Schließlich ist er ausgebildeter Elietesoldat. Und schon eskaliert so ziemlich alles.

Überraschung: Die Tochter darf ein Charakter sein
Es ist eine Prämisse so alt wie das Kino: Frau, Tochter oder beide werden getötet und John Wayne, Liam Neeson oder Jason Statham müssen ihren Tod rächen, indem sie eine ganze Reihe weiterer Menschen auf abwechslungsreiche Weise ins Jenseits befördern. „Helden der Wahrscheinlichkeit" nimmt diese Ur-Prämisse des Rachefilms zielsicher aufs Korn. Etwas anderes war von dem kongenialen Team aus Hauptdarsteller Mads Mikkelsen und Regisseur Anders Thomas Jensen auch nicht zu erwarteten. Es ist bereits die fünfte Zusammenarbeit des Duos, das bereits Kultfilme wie „Adams Äpfel" und „Dänische Delikatessen" geliefert hat.
Der revolutionärste Unterschied zwischen ihrem neuen Film und dem herkömmlichen Rachekino: Die Tochter des männlichen Rächers darf tatsächlich ein Charakter sein, statt nur ein eindimensionales Mittel zum Zweck. Stattdessen ist Mathilde eigentlich Herz und Gewissen des Films und zeigt immer wieder auf, dass ein trauernder Ehegatte eher einen Therapeuten als ein Maschinengewehr bräuchte. Die junge Andrea Heick Gadeberg schafft in der Rolle die schwierige Aufgabe, nicht nervend oder belehrend, sondern herzallerliebst zu wirken. Und dabei in dieser Actionkomödie häufig die vom Publikum so geliebte Action zu stoppen.
Die ist in diesem Film tatsächlich handwerklich solide, was vor allem daran liegt, dass Mads Mikkelsen erwartungsgemäß glaubwürdig als Killermaschine ist. Wenn Soldat Markus einmal loslegt, erledigt er seine Gegner eiskalt und methodisch. Der Däne ist mittlerweile eine wahre Schauspiellegende, egal ob in Blockbustern („Casino Royale", „Star Wars"), Prestigeserien („Hannibal") oder im internationalen Arthouse-Kino („Pusher"). Markus ist eine weitere faszinierende Rolle für den Alleskönner. Seine Fans dürfen sich vor allem darauf freuen, ihn so durchtrainiert wie noch nie zu sehen - und mit einem grandios buschigen Bart.
Wie wird eigentlich am besten eine Leiche beseitigt?
Was den Film aber vor allem über die Zielgerade bringt, ist seine düstere Komik und seine Liebe für die Charaktere. Blutige Schießereien wechseln sich mit Szenen ab, in denen sich die Charaktere darüber streiten, wie genau sie nun eine Leiche beseitigen sollen. Unterbrochen wird das von überraschend berührenden Momenten, in denen die Charaktere einfach beim Abendessen sitzen und langsam zu einer disfunktionalen Ersatzfamilie zusammenwachsen. Die dann wiederum in Gefahr ist, weil sie zu dem Zeitpunkt schon echt viele Gangster auf dem Gewissen haben.
„Helden der Wahrscheinlichkeit" ist gesundes Gegenprogramm zu Filmen wie „96 Hours", das viel zu sagen hat, aber leicht zugänglich ist. Die Action ist überzeugend, die Witze sitzen, und am Ende ist der Film doch deutlich bewegender als erwartend. Uneingeschränkt empfehlenswert.