"The Undoing": Tatsächlich... Mord

Bielefeld. Sie hat die Seite gewechselt. In der Erfolgsserie &bdquo;Big Little Lies" saß Nicole Kidman in der Rolle einer unter sexualisierter häuslicher Gewalt leidenden Ehefrau regelmäßig auf der Couch einer Psychotherapeutin. In &bdquo;The Undoing", dem heute bei Sky startenden Sechsteiler, ist sie es, die professionellen Beistand bietet. &bdquo;Ich kenne kaum einen kritischeren Menschen als sie", erklärt die von Kidman gespielte Grace Fraser einer Klientin, mit der sie schon zum dritten Mal die Scherben einer Ehe aufsammelt. &bdquo;Doch sobald ein attraktiver Mann Interesse für sie zeigt, ist ihr Urteilsvermögen dahin." Du hättest es wissen können, lautet Grace Frasers Beratungsmantra. Doch in eigener Sache ist sie, wie sich herausstellt, genauso verblendet wie ihre Klientin oder auch Celeste, ihr Serien-Alter-Ego in &bdquo;Big Little Lies". Winterglänzende Manhattan-Ansichten Grace Fraser führt mit Ehemann Jonathan (Hugh Grant), einem Chirurgen in einer Kinder-Krebsklinik, ein komfortables Leben in einem Townhouse auf New Yorks nobler Upper East Side. Sohn Henry (Noah Jupe) besucht die exklusive Reardon School wie früher seine Mutter, erhält Geigenunterricht bei einer internationalen Koryphäe. Sein Schulweg ist ein Spaziergang durch den Central Park. Mit schwelgerischen Einblicken in Luxuswohnungen und winterglänzenden Manhattan-Ansichten inszenieren Regisseurin Susanne Bier (&bdquo;Love Is All You Need", &bdquo;The Night Manager") und Kameramann Anthony Dod Mantle (&bdquo;Slumdog Millionaire") die Fallhöhe der Hauptfiguren. Denn dieses Traumleben wird platzen – wie die Seifenblase in der Hand des Mädchens im halluzinatorischen, mit Kidmans Gesang (&bdquo;Dream a Little Dream of Me") unterlegten Serien-Vorspann. Blick in den Abgrund Die junge Mutter eines Klassenkameraden von Henry wird ermordet. Grace ist zunächst ungläubig erstaunt, als sie von zwei Kriminalbeamten vor ihrem Haus erwartet wird, die sie befragen wollen. Die Verwunderung weicht rasch Beunruhigung, schließlich Panik. Ihr Mann ist nicht auf Dienstreise, sondern auf der Flucht. Die Polizei hält ihn aufgrund erdrückender Beweise für den Haupttatverdächtigen. Das schöne Townhouse verwandelt sich von einem Tag auf den anderen in eine von Reportern und Kameras belagerte Festung. Jonathan hatte ein Verhältnis mit dem späteren Mordopfer – der Beginn einer Reihe erschütternder Entdeckungen, die Grace Fraser in einen Abgrund blicken lässt. Die für den US-Sender HBO gedrehte Miniserie ist eine erneute Kooperation von &bdquo;Big Little Lies"-Drehbuchautor David E. Kelley und Nicole Kidman, wieder in der Doppelrolle als Produzentin und Darstellerin. Die Serie nach einem Roman-Bestseller von Jean Hanff Korelitz zieht einen erheblichen Reiz aus dem cleveren Spiel mit Themen und Motiven, die aus &bdquo;Big Little Lies" vertraut sind, ist aber mitnichten ein Abklatsch. Auch in &bdquo;The Undoing" bringt eine Außenseiterin aus kleinen Verhältnissen einen weiblichen Oberschicht-Zirkel durcheinander. Elena Alves (Matilda DeAngelis), eine Künstlerin, deren Sohn die teure Reardon School nur dank eines Stipendiums besuchen kann, platzt in die exklusive Mütterrunde mit der Wucht einer mythischen Göttin. Zum Stillen ihres Babys entblößt sie vor den pikiert wegblickenden Damen triumphierend ihre Brust. Grace, die ihr gegenüber Sympathie zeigt, überrascht sie mit einem Kuss im Fahrstuhl. Einen Tag später wird Elena Alves brutal erschlagen in ihrem Atelier gefunden. Thriller und New Yorker Sittenbild Für einen Thriller ist &bdquo;The Undoing" letztlich zu vorhersehbar und betulich angelegt. Jonathan wird festgenommen und in ein gewaltgeladenes Gefängnis gesteckt. Es folgen Gerichtsszenen, die die Zuschauergeduld unnötig strapazieren. Cliffhanger sollen die Spannung halten, indem sie nahelegen, dass es vielleicht jemand anders war: der Ehemann des Opfers vielleicht, die betrogene Grace, ihr skrupelloser Vater oder gar der junge Henry. Doch nicht deswegen bleibt man dran (zur Rezension standen die ersten fünf Folgen zur Verfügung), sondern weil die Miniserie eben auch ein opulent gemaltes New Yorker Sittenbild ist, eine Erzählung über Klassenunterschiede und Ängste, vor denen wohl niemand in stillen Stunden ganz gefeit ist. Donald Sutherlands Haifischlächeln Nicole Kidman bietet wie in &bdquo;Big Little Lies" das kitschfreie und nuancierte Porträt einer Zerrissenen. Sie kann ihrem betrügerischen Mann nichts mehr glauben und will ihn gleichzeitig auf verzweifelte Weise zumindest nicht für einen Mörder halten. Derweil muss die Psychologin erkennen, wie lange ihr ausgeprägter Wille zur schönen Lebensillusion schon die Realität verdrängt hat. Selbst die Ehe ihrer Eltern, die nur auf dem Papier bestand, hielt sie – zum späten Entsetzen ihres Vaters – für glücklich und vorbildlich. Hugh Grant, in letzter Zeit mit Ambitionen aufs ernste Fach, bringt sich mit seinem etwas angeknitterten Frauenschwarm-Image aus &bdquo;Notting Hill"- und &bdquo;Tatsächlich... Liebe"-Zeiten ein. Offenbar soll er möglichst lange in der Schwebe halten, ob sich hier jemand nur selbstsüchtig und dumm in ein Schlamassel befördert hat oder ein Monster ist. Es ist schon fast rührend, wie Grant sich müht, mit seinem bewährten Mimik-Arsenal auch die Möglichkeit des Monsters anzudeuten. Ganz anders der große Donald Sutherland als Graces reicher Vater: Er spielt Klavier und Schach, meditiert im Museum vor Alten Meistern und verströmt im nächsten Moment mit Haifischlächeln Eiseskälte. Selbst die Nebenrollen bereiten ausnahmslos Vergnügen. Niemand kann mit einem langen Blick so verunsichern wie Noma Dumezweni als stoische Staranwältin. Auch Douglas Hodge macht seine Kurzauftritte als vermeintlich zerstreuter Pflichtverteidiger zum Ereignis. &bdquo;Ich bin unschuldig, interessiert sie das überhaupt?" schreit Jonathan ihn an. &bdquo;Nicht wirklich", erwidert der Angegriffene ungerührt. &bdquo;Ehrlich gesagt, bevorzuge ich Klienten, die schuldig sind. Nimmt den Druck raus." Immer montags, 20.15 Uhr, in Doppelfolgen auf Sky Atlantic wahlweise auf Deutsch oder im Original , parallel auf Sky Ticket und über Sky Q auf Abruf.

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