
Bielefeld. Die Frage liegt nahe – doch Susan Kreller muss sie verneinen. Ihr neues Jugendbuch „Elektrische Fische" dreht sich um die zwölfjährige Emma, die von Dublin in ein kleines Dorf in Mecklenburg-Vorpommern umziehen muss. Von Abschied und Fernweh also, auch von Entwurzelung und dem Verlust von Heimat handelt der Band, der im Dezember 2019 im Carlsen Verlag erschienen ist. Und wie der Zufall es will: Auch Kreller, erfolgreiche Autorin aus Bielefeld, und ihre Familie stehen vor einem Umzug.
Anfang Juli geht es nach Berlin, nach zwölf Jahren in Bielefeld. Ihr Mann, berichtet die 43-Jährige, habe dort eine Professur für Sportwissenschaften inne. Nach einem Jahr des Pendelns soll der Haushalt nun wieder zusammengeführt werden. Die Verarbeitung dieses Ortswechsels aber habe keinesfalls Pate gestanden für das Buch: „Als ich den Plot plante, stand der noch gar nicht an", sagt die gebürtige Plauenerin.
Der Preis gilt als Ritterschlag der Branche
Den Nerv Vieler trifft die Geschichte von Emmas Heimweh und ihrer ersten Liebe gleichwohl. Kreller gilt als einfühlsame Schriftstellerin, die große Themen und Gefühle unpathetisch verhandelt und ihre Figuren präzise beschreibt. Wohl auch deshalb hat sie mit „Elektrische Fische" in jüngster Zeit gleich drei Literaturpreise geholt – den mit 8.000 Euro dotierten Friedrich-Gerstäcker-Preis der Stadt Braunschweig, den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis (mit 5.000 Euro dotiert) und den undotierten „Luchs des Monats" von Die Zeit und Radio Bremen. Und als ob das nicht schon ein beachtlicher Erfolg wäre: Nominiert ist Kreller mit „Elektrische Fische" obendrein für den Deutschen Jugendbuchpreis 2020, der traditionell auf der Frankfurter Buchmesse vergeben wird.
Diesen Preis, ein Ritterschlag der Branche, hat die 43-Jährige schon einmal erhalten, 2015 für „Schneeriese". Nominiert ist sie jetzt zum vierten Mal. Wie sich die Verleihung im Corona-Jahr abspielt, ist offen. „Irgendeine Form wird man finden", ist die Autorin sicher. Überhaupt, die Coronakrise: Sie verunsichere sehr, sagt die Autorin. Obwohl sie ihren Arbeitsalltag zu Hause am Schreibtisch trotz Homeschoolings ihrer 13-jährigen Tochter kaum habe ändern müssen, fehle überall die Leichtigkeit. Auch den spontanen Cafébesuch lässt sie momentan noch ausfallen. Viele kurze Gespräche und Begegnungen fallen weg, die ihr so wichtig sind.
"Es geht mir und meiner kleinen Familie gut"
„Ich habe sehr gelitten, besonders zu Anfang des Lockdowns, als alles so diffus war." Und dann der Mundschutz, der jedes Lächeln verbirgt und noch andere Tücken bereithält: „Als Brillenträgerin habe ich mich fast daran gewöhnt, alles verschwommen zu sehen", erzählt sie amüsiert, nur dass sie wegen der beschlagenen Brille „ausgerechnet die verschimmelten Himbeeren greife", sei nicht immer komisch.
Aber eigentlich, sagt sie nachdenklich, gehe es ihr und ihrer kleinen Familie gut. „Es gibt so viele Menschen, die die Krise viel härter trifft als uns. Auch in der Kulturszene merkt man, was in der kurzen Zeit alles kaputt gegangen ist. Es gibt viele Trümmer und Tragödien", sagt sie. Kollegen hätten auf Lesungen als wichtige Triebmittel ihres Verdienstes verzichten müssen. Kleinere Verlage, glaubt sie, werden es womöglich nicht schaffen. Sie ist froh, dass ihr aktuelles Werk noch vor der Krise in den Buchhandel gekommen ist.
Ihre neuen Werke sind in zwei Jahren reif für die Veröffentlichung
Aktuell arbeitet sie an zwei neuen Buchprojekten, darunter ist nach „Pirasol" (2017) ein weiteres Werk für Erwachsene. Die dürften aber erst in etwa zwei Jahren reif für eine Veröffentlichung sein. Warum ist sie so fasziniert von den Geschichten Beladener, beschreibt sie oft gerade jene Menschen, die mit Vielem zu kämpfen haben? Auch in „Elektrische Fische", zu dem sie ein Au-pair-Jahr in Irland während ihrer Jugendzeit inspirierte? „Das Leben ist eine unheimlich gute Sache, aber manchen fällt es schwer, durch den Tag zu kommen", sagt Kreller. Sie möchte darüber schreiben, wie diese Menschen es trotzdem schaffen. Möchte „die kleinen, leuchtenden Momente zeigen", die jede noch so schwierige Lage birgt. Ein Happy End gibt es bei ihr gleichwohl meist nicht. Aber hoffnungsvolle Ausblicke, Scheidewege voller Möglichkeiten.
Die Multi-Perspektivität ihrer Geschichten, ihre warmherzige Nähe zu den Figuren kombiniert Susan Kreller mit einem prägnanten, hintergründigen Schreibstil. Viele dieser Werke sind in Bielefeld entstanden, das ihr offenbar ein produktives Setting war. Und so klingt im Gespräch Wehmut durch, trotz der Neugier auf die Metropole mit all ihren Chancen: „Wir lassen viele liebe Menschen zurück, der Abschied wird uns schwerfallen." Wie gut, dass es eine schnelle ICE-Verbindung zwischen beiden Städten gibt.
Susan Kreller: „Fliegende Fische", 192 S. Carlsen Verlag, 2019, 15 ð.
INFORMATION
Etliche Förderpreise, ein Stipendium, Auszeichnungen. „Elefanten sieht man nicht" wurde 2012 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.
Für ihr Buch „Schneeriese" hat sie diesen 2015 dann bekommen.