
Frau Brock, was würden Sie am Set und bei Proben immer verbieten?
Inga Brock: Alles, was kindeswohlgefährdend ist. Dafür sind wir da. Die Spanne ist natürlich sehr groß. Da geht es um Arbeitszeiten, um das Arbeitsumfeld, um den Schutz der kindlichen Psyche, um Arbeitszeiten. Es gibt immer wieder Szenen, wo wir sagen: So, wie das im Drehbuch steht, können wir das nicht unterstützen. Da liegt Gefahrenpotential vor, wo wir nicht mehr davon ausgehen können, dass das Kind da unbeschadet rauskommt. Entweder müsste man das umschreiben oder die Szene ganz rausnehmen. Und in der Regel wird das auch umgesetzt.
Also werden Ihre Anmerkungen von Regie und Produktion angenommen und umgesetzt?
Brock: Schon. In NRW ist es so geregelt, dass Produktionsfirmen für die Beschäftigung von Kinderdarstellern eine Bewilligung von der Bezirksregierung brauchen. Die kriegen sie in vielen Fällen nur unter der Bedingung, dass eine medienpädagogische Fachkraft mit am Set ist. Wir gucken uns dann genau das Skript und die Anforderungen der Rolle an und erstellen einen Mitwirkungsplan. Den legen wir der zuständigen Bezirksregierung vor, und die sagen dann der Produktionsfirma: Okay, ihr könnt mit dem Kind drehen, aber nur, wenn ihr die hier vorgeschriebenen Auflagen einhaltet.
Und trotzdem gibt es Filme oder Serien, wie den "Tatort", wo man als Zuschauer denkt: Oh Gott, dieses Kind ist doch nach Drehschluss vollkommen traumatisiert gewesen.
Brock: Weil der Zuschauer nichts von den vielen Tricks oder Strategien weiß, die vor und hinter der Kamera möglich sind. Da gibt es eine Menge Möglichkeiten. Bei sehr jungen Kindern und bei schwierigen Themen erfahren die Kinderdarsteller manchmal nicht, worum es in dem Film oder der Produktion geht. Häufig aber werden die Szenen bei schwierigen Bildern entzerrt. Die Kinder drehen ihre einzelnen Szenen losgelöst vom Rest, so dass sie vom Kontext nichts mitbekommen, vor allem, wenn es thematisch um Missbrauch oder Mord geht, natürlich. Und dann wird meist mit Schnitten gearbeitet. Ein gutes Beispiel sind hier Verfolgungsszenen. In denen rennen die Kinder alleine durch den Wald, ohne dass ein Erwachsener sie verfolgt. Dieses Angstszenario wird gar nicht erst aufgebaut.
Trotzdem müssen die Kinder Angst oder Panik zeigen.
Brock: Das erfolgt aber spielerisch und das verstehen Kinder sehr gut, dass sie Angst spielen können, ohne wirklich Angst zu empfinden. Kinder haben sowieso eine so große Palette an schauspielerischen Fähigkeiten, weil die eh immer schnell im Rollenspiel sind. Und wenn ein Kind irgendwo lang rennt und dabei ängstlich gucken soll, hat das für dieses Kind eine ganz andere Bedeutung, als wenn es vor einem anderen, realen Darsteller flüchtet, der versucht, es zu fangen. Und am Ende wird alles so zusammengeschnitten, dass der Zuschauer denkt: Oh Gott!
Trotzdem gibt es auch Szenen, wo Sie ganz klar einschreiten.
Brock: Ja, immer mal wieder. Zum Beispiel, wenn sich Regisseure oder Drehbuchautoren zu wenig Gedanken machen: Ein 14-jähriges Mädchen soll sich in der Handlung vor ihrem Schwarm ausziehen. Die junge Darstellerin wollte aber natürlich nicht, dass das ganze Set ihre Brüste sieht. Am Ende sah man von hinten, wie sie ihre Jacke auszieht und ihren nackten Rücken. Vorn war aber alles von der Kostümbildnerin abgeklebt. Das muss man aber eben gut vorbereiten.
Haben Sie noch ein Beispiel?
Brock: Wir haben beispielsweise mal Stopp sagen müssen bei einem Film, der in den 50er Jahren spielte. Dort sollte der Kinderdarsteller die Dorfkneipe betreten, die – wie in den 50er Jahren völlig normal – völlig verraucht sein musste. Da haben wir darauf hingewiesen, dass keine normalen Zigaretten und Zigarren verwendet werden durften, um die Gesundheit des Kindes zu schützen. Es gibt schließlich Alternativen: Kräuterzigaretten, Nebelmaschinen. Und selbst dann mussten wir viele Pausen einbauen, weil es einfach nicht angenehm war, da drin zu sein.
Aber achten Eltern nicht auch auf so etwas?
Brock: Viele schon. Die wollen ja natürlich auch nicht, das was passiert. Aber die Motivation ist bei den Eltern oft eine andere als bei uns. Die wollen dem Kind ein schönes Erlebnis bereiten und der Produktion nicht so viele Umstände. Die wollen natürlich auch nochmal gebucht werden und das klappt nicht, wenn man zu kompliziert rüber kommt. Man ist manchmal erstaunt, wie weit Eltern gehen würden, um gezielt eine Karriere aufzubauen. Das ist etwas, was wir auch vorher versuchen zu klären: Wer will denn da eigentlich auf die Bühne oder vor die Kamera: Ist es wirklich das Kind oder sind es die Eltern? Die Gage ist halt auch nicht zu verachten, das haben viele Eltern schon auf dem Schirm. Ein Komparse bekommt in der Regel so 60 Euro, ein Hauptdarsteller bis zu 900 Euro, vielleicht sogar mehr – pro Drehtag.
Und dann nötigen die Eltern die Kinder zu ihrem "Glück".
Brock: Das gibt es, in der Regel funktioniert das aber nicht. Man sieht sehr schnell, wenn die Kinder eigentlich keine Lust oder Angst haben. Dann kriegt man keine gute Performance und auch keine guten Bilder. Man muss sich ja auch klar machen: Am Set sind bis zu 60 Menschen dabei, alle gucken das Kind an, sobald die Kamera läuft. Damit muss man erstmal umgehen können. Viele können das nicht.
Und wie ist das mit Säuglingen? In der letzten Zeit gab es häufig Szenen im deutschen Fernsehen, wo Babys in einer Art verzweifelt weinten, dass man als Mutter dachte: Das geht ja gar nicht, wie lange weint das Kind denn schon so...
Brock: Das ist ein sehr heikles Thema. Weil das Beschäftigen von Kindern unter drei Jahren grundsätzlich nicht erlaubt ist. Der Gesetzgeber formuliert das aber nicht klar. Ausnahme ist nämlich das Zeigen des Kindes in seiner natürlichen Umgebung und Funktion. Wenn ich also ein Baby auf seine Krabbeldecke lege und es spielt vor sich hin, oder es ist müde und schreit, dann darf das aufgezeichnet und das Material hinterher verwendet werden. Da liegt dann aber kein konkreter Auftrag der Produktionsfirma vor. Und die Entscheidung, wie weit das geht, liegt dann bei den Eltern.
Und da haben Sie dann kein Mitspracherecht, wenn Sie so was sehen...
Brock: Nein, da liegt die Entscheidungsgewalt allein bei den Eltern. Unsere Berufsvereinigung und viele Bezirksregierungen appellieren schon lange an den Gesetzgeber, dass es da klarere Schutzbestimmungen braucht. Dafür müsste man allerdings das Kinderarbeitsschutzgesetz reformieren und dann würde man auch ganz viele Regelungen verlieren, die gut sind. Jetzt sagt der Gesetzgeber: So, wie es ist, sind die Kinder gut geschützt. Und bei den unter Dreijährigen muss man darauf hoffen, dass die Eltern vernünftige Entscheidungen treffen.
Wie ist das denn eigentlich mit der Schule?
Brock: Das legen wir alles im Mitwirkungsplan fest. Wir gucken genau: Wie viele Tage Schule verpasst das Kind? Ist das ein guter oder eher mittelmäßiger Schüler, der es sich überhaupt leisten kann, drei Monate zu fehlen? Ist es sinnvoll, einen Privatlehrer zu engagieren? Derzeit machen wir sehr gute Erfahrungen mit einer Webschule, mit der wir regelmäßig zusammen arbeiten. Da verabreden sich die Kinder für die Drehpausen mit ihren Lehrern und machen dann zum Beispiel zwei Stunden online Englisch mit dem.
Das heißt, der Mitwirkungsplan umfasst die ganze Palette von Kinderrechten und Kinderschutz?
Brock: Genau: Wir zurren den zeitlichen Rahmen fest, in dem das Kind arbeitet, stellen fest, ob es zum Beispiel im Sommer Szenen gibt, die Dunkelheit erfordern und die erlaubte Arbeitszeit von 22 Uhr überschreiten. Wir gucken, wo ein Stuntkoordinator sinnvoll wäre oder ob das Kind ein Stunttraining braucht. Und wir gucken nicht zuletzt: Wie ist das Kind überhaupt betreut? Ist jemand von der Familie da, wo wohnt es, wenn es nicht aus der Drehstadt kommt, usw.
Gab es mal ein Projekt, zu dem Sie oder Ihr Verband kategorisch Nein gesagt haben?
Brock: Ja, vor einigen Jahren. Da wollte ein Regisseur den Fall Marc Dutroux als Musical darstellen. Da haben wir als MF geschlossen gesagt: Das unterstützen wir nicht. Das kann nur geschmacklos werden und Grenzen überschreiten.