
Bielefeld. Der Mann ist ein Phänomen. Ludovico Einaudi (60) gehört zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Komponisten und Pianisten, seine CDs gehen weg wie warme Semmeln. Was er anpackt, wird seit Jahren zu Gold. Kommerzieller Erfolg ist dem einstigen Komponisten von Filmmusiken („Ziemlich beste Freunde“) und Pianisten vor allem in England und seiner Heimat Italien beschieden.
Auch in Deutschland nehmen seine Fans weite Wege in Kauf, um den Meister des melodramatischen Klassikpop live zu erleben, wie ein Blick auf die Autokennzeichen rund um die Oetkerhalle am Mittwochabend beweist. Sie lieben den Klangmaler berührender Seelenlandschaften offensichtlich leidenschaftlich, den Spross einer berühmten Turiner Familie mit einem Großvater, der es bis zum italienischen Staatspräsidenten gebracht hatte und einem Vater, der einen der wichtigsten Verlage Italiens gründete. Aus diesem bisweilen auch erdrückenden Kosmos habe er sich befreien müssen, hat er in einem Interview einmal gesagt – der passende Weg schien der über die Musik zu sein. Im kunstbeflissenen Elternhaus war er schon früh an sie herangeführt worden. Was aber ist es, das die Massen, jetzt auch in Bielefeld, derart in den Bann zieht?
Einaudis Musik ist alles andere als komplex, allzu viel Tiefgang – Fehlanzeige. Aber sie bewegt, legt sich wie ein in süßlichen Farben eingefärbter Klangteppich über die vom Alltag gebeutelte Seele. Sie beurlaubt den Kopf für die Dauer eines Konzerts und lädt ein zum Träumen, zur inneren Weltreise. Weltbewegend indes ist diese Musik nicht.
In der Oetkerhalle platziert sich der bescheiden auftretende Pianist mit dem Rücken zum Publikum an seinem Steinway-Flügel. Der Miles-Davis-Habitus suggeriert volle Konzentration auf das Klavierspiel und schafft eine beinahe konspirative Nähe zu den im Halbkreis aufgestellten Ensemblemitgliedern. Die versehen ihren Dienst an E-Gitarre, E-Bass und Keyboard, auch an Violine, Cello und diversen Percussion-Instrumenten mal zurückgenommen untermalend, mal beeindruckend eigenständig. Ihre künstlerischen Potenziale ausschöpfen können die Fünf in dieser Konstellation jedoch nicht. Ludovico Einaudi ist, trotz Bescheidenheitsgestus, ein Alphatier, das mit ausgestrecktem Finger vom Flügel aus dirigiert. In der Oetkerhalle präsentiert er seine aktuelle CD „Elements“, eine Suite aus zwölf ineinander verschachtelten Kompositionen, die sich mit Erde, Wasser, Feuer und Luft befassen.
Man meint das Fließen und Plätschern von Wasser aus den perlenden Klavierläufen herauszuhören, die Eruptionen des Urknalls, man hört das Gras wachsen, spürt die faszinierende Weite der Landschaften. Eine Lightshow liefert Blitze zum Urknall, einen Sternenhimmel zu Stille und karger Schönheit der Wüste. Meditativ klingt das und wie geschaffen für die Entspannungsphase im Yoga-Set.
Handwerklich bewegen sich die Kompositionen in nur zwei, drei Motiven, Musiksentenzen, die oft nur aus sieben oder acht Tönen bestehen. Sie mäandern durch die häufigen Wiederholungen – vom leisen Beginn, über die beständige Steigerung zum gefühlvollen, ausladenden Höhepunkt. Wenn man gerade meinte, das Crescendo werde nun ausagiert, setzt ein abrupter Tonfolgenabbruch ein allzu jähes Ende. Dieses Strickmuster ist charakteristisch für Einaudi. Gelegentlich mag es tragen, wird es jedoch überstrapaziert, gerät es zur Floskel.
Am Ende des Abends überwiegt der trotzige Gedanke, dass es ja beileibe keine Schande ist, sich einfach nur unterhalten zu lassen. Und der Zweifel an den Gesetzen des Musikbusiness’ schweigt beleidigt. Mit großem Applaus im Stehen jedenfalls dokumentiert das Publikum seine Zufriedenheit. Zugaben bleibt Einaudi auch nach zwei Stunden pausenlosen Konzerts nicht schuldig.