Die geheime Bestsellerliste der Bücherdiebe

Geklaut wird auf der Frankfurter Buchmesse regelmäßig – nicht unbedingt zum Ärger der Verlage

12.10.2014 | 20.05.2022, 16:14
Die geheime Bestsellerliste

der Bücherdiebe - © Kultur
Die geheime Bestsellerliste
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Frankfurt. Zur Buchmesse tummeln sich in Frankfurt die Diebe. Wie in jedem Jahr, schlagen sie auch diesmal zu. Wie viele Bücher genau weg sind? Weiß keiner. Die Verlage kostet das viel Geld. Wirklich wütend machen die Bücherdiebe erstaunlicherweise aber kaum einen. Warum eigentlich?

Samstag und Sonntag stürmten die Besucher endlich die Frankfurter Buchmesse, vorher war bereits das Fachpublikum da. Sonntagabend endet sie dann, die weltgrößte Buchmesse. Und viele Aussteller werden weniger Bücher wieder einpacken als sie mit an den Main genommen hatten. Manches wurde verschenkt, vieles geklaut. Für den Suhrkamp Verlag arbeitet Mona Aberle am Messestand; Halle 4.1, großes Ding. Es ist nicht ihre erste Buchmesse und mittlerweile weiß sie, dass Bücher verschwinden. Es wird einfach einkalkuliert. „Wir sind ja nicht betriebsblind.“ Erstaunlich gelassen berichtet sie von den Bücherdieben. „Trotz des finanziellen Schadens sind wir nicht wirklich traurig. Damit lebt man eben“, sagt Aberle irgendwann.

Die auf der Buchmesse ausliegenden Werke sind ein gefundenes Fressen für Gelegenheitsdiebe. Die Verlage ziehen daraus aber ihren Nutzen. - © FOTO: CHRISTIAN SCHWEPPE
Die auf der Buchmesse ausliegenden Werke sind ein gefundenes Fressen für Gelegenheitsdiebe. Die Verlage ziehen daraus aber ihren Nutzen. | © FOTO: CHRISTIAN SCHWEPPE

Viele ihrer Kollegen reden so, wenn es um die Bücherdiebe geht. Immer die gleiche Mischung aus Abgeklärtheit und Machtlosigkeit. „An den Publikumstagen geht besonders viel weg“, sagt sie. Und so bleibt ihr nichts anderes übrig, als den „Kruso“ von Lutz Seiler in einem Regal hinter ihrem Tresen auszustellen. Das Buch hat gerade erst den Deutschen Buchpreis gewonnen – ein potenziell beliebtes Mitbringsel.

Bücher verschwinden, jedes Jahr

Wie viele Bücher geklaut werden, das kann Mona Aberle nicht sagen. Und auch bei ihrem Verlag weiß man es nicht. Das hat mehrere Gründe: Viele der Bücher werden als Leseexemplare an Autoren, Buchhändler oder Journalisten verschenkt. Ab heute wird auch regulär verkauft. Welches Buch warum wo landet, kann man später schlicht nicht mehr feststellen. In dem Gedränge am Wochenende schon gar nicht. Verlässliche Zahlen zu Diebstählen gibt es keine. Fakt ist: Bücher verschwinden, jedes Jahr.

Beim Piper Verlag sieht man es gelassen. Es seien immer genug Bücher vor Ort. „Außerdem hat der Diebstahl kein so bedrohliches Ausmaß“, versichert man eilig. Botschaft: Alles gar kein Problem. Klar. Gleichzeitig liegt bei Piper der neue Hape Kerkeling in zwei großen Wühlkisten aus. Eine günstige Gelegenheit.

Dass der Buchdiebstahl von vielen toleriert wird, hat in Wahrheit praktische Gründe – und ist nicht bloß Gutmütigkeit. Auch beim Beklautwerden denken manche Verleger offenkundig ans Geschäft. Denn: Was auf der Frankfurter Buchmesse gestohlen wird, hat gute Chancen, die Bestseller-Listen zu stürmen. Thomas Diefenbach aus dem Vertrieb vom Verlag Kiepenheuer & Witsch sagt: „Was hier nicht geklaut wird, verkauft sich später schlecht.“ Bücher von Schätzing oder Wallraff waren es schon oft. „Es sind immer die großen Namen.“ Bei C.H Beck nennt man das: Geheime Bestseller.

Manche Verlage sind froh

Für viele ist der beobachtete Diebstahl auf der Buchmesse also unkonventionelle Marktforschung für das Weihnachtsgeschäft. „Trickdiebstähle lassen sich trotz der Kontrollen einfach nicht verhindern“, sagt Katja Böhne, Sprecherin der Buchmesse. Internationale Verlage seien sogar froh, wenn sie nicht so viele Bücher wieder mitnehmen müssten. „Vielleicht ist das vergleichbar mit dem abgebrochenen Mercedesstern.“

Auch wenn Diebstahl in Deutschland normalerweise angezeigt und verfolgt wird: Für viele ist die Buchmesse in Frankfurt ein großer Selbstbedienungsladen. Bücher wie „Kruso“ locken, Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano sowieso. Und seit Freitagabend ist auch die Biografie der frisch ausgezeichneten Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai wieder bei vielen Besuchern begehrt.

Irgendwann kommen sie an einem Buch von Michael Meier vorbei. Rotes Cover, drei Schattenmänner darauf gedruckt. Titel: Die Plünderung der Welt. Es steht ganz oben im Regal.