Avignon. Im hohen Alter machte der einstige Weltkrieg-II-Jagdflieger Horst Rippert aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr: "Ich habe gehofft und ich hoffe immer noch, dass es nicht Saint-Exupéry war", sagte er im Jahr 2006. "Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich niemals geschossen. Nicht auf einen solchen Menschen."
Heute gilt als höchstwahrscheinlich, dass der damals 22-jährige Pilot der Luftwaffe vor genau 70 Jahren, gegen Mittag des 31. Juli 1944, Antoine de Saint-Exupéry mit seiner P38-Lightning F5B, Nummer 233 abschoss - den Schöpfer des "Kleinen Prinzen", der nach französischen Angaben in mehr als 270 Sprachen übersetzt wurde und mit einer Auflage von mehr als 145 Millionen Exemplaren das zweitverbreitetste Buch der Welt ist, nach der Bibel.

Die Geschichte des Kleinen Prinzen, der von seinem Heimatplaneten weg durchs Weltall reist und die Erde besucht, ist eine wunderbare, märchengleiche Geschichte über das Leben, die Werte, die es bestimmen sollten und die Bedrohungen, denen die Menschlichkeit ausgesetzt ist - durch Alltag, Oberflächlichkeit, Gewinnstreben und das Fehlen von Freundschaft.
"Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar"
Aber es ist auch eine sehr persönliche Geschichte, aus der sich die Trauer des Autors über die Zustände im besetzten Frankreich, seine Enttäuschung über sein Exilland Amerika und das schlechte Gewissen wegen seiner in Frankreich zurückgelassenen Frau Consuelo (die "Rose" des kleinen Prinzen auf seinem Heimatplaneten) herauslesen lassen.Die Parabel auf die Freundschaft schließlich, die der Fuchs dem Prinzen als Prozess des vorsichtigen Zähmens schildert, ist ein kleines Meisterstück der Humanität, schlicht und wahr. "Man sieht nur mit dem Herzen gut: Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar", verrät der Fuchs seinem weiterziehenden neuen Freund zum Abschied.
In Sachen Freundschaft war Saint-Exupéry an diesem 31. Juli nicht unterwegs. Es ging um die Freiheit, um die Vertreibung der Deutschen aus dem seit 1940 von ihnen okkupierten Frankreich. Seit 1942 hatte die Wehrmacht auch den bisher pseudofreien Süden, die Vichy-Republik und damit auch die Provençe besetzt.
Fehlschlag mit tödlichem Ausgang
Hitler fürchtete damals die Invasion der "Festung Europa" über das Mittelmeer, nachdem die Alliierten in Afrika Fortschritte erzielten. Nun war dieser Moment nahe und der 44-jährige Adlige, Buchautor, Humanist und Freiheitskämpfer war an diesem Tag von Korsika aus zu einem Aufklärungsflug gestartet, Richtung Alpen über Grenoble und Annecy.Die Mission war wichtig, Teil der Aufklärung vor dem geplanten zweiten D-Day: Nach der Landung in der Normandie am 6. Juni sollte am Himmelfahrtstag 15. August die alliierte Invasion in der Provençe starten, Frankreich auch von Süden über das Mittelmeer befreit, die Deutschen endgültig vertrieben werden.
Saint-Exupérys Aufklärungsmission wurde zum Fehlschlag mit tödlichem Ausgang. Über seinem Zielgebiet in den Alpen herrschte Nebel, er musste unverrichteter Dinge abziehen, kam nie auf der korsischen Heimatbasis wieder an.
Der Welterfolg für Saint-Exupéry kam posthum
Weil sein Verbleiben ungeklärt war, Trümmer seiner Maschine unauffindbar waren, blieb das Schicksal von "Saint-Ex" jahrzehntelang Anlass für Spekulationen: Abschuss, Unfall, Selbstmord? Der 44-jährige leidenschaftliche Pilot, der nach diversen Abstürzen und Verletzungen nicht einmal mehr alleine seine Fliegermontur anziehen konnte, hatte damit rechnen müssen, jederzeit als Pilot endgültig ausgemustert zu werden. Er war depressiv.Im Schleppnetz eines Fischers fand sich schließlich sein Silberarmband mit eingraviertem Namen, nahe der Ile de Riou, südlich von Marseille. Das war im Jahr 1996. Die Trümmer seines Flugzeugs wurden im September 2003 geborgen, seine Maschine anhand der Seriennummer am 7. April 2004 offiziell identifiziert.
Im Zuge der Recherchen, die Saint-Exupérys Familie in Auftrag gegeben hatte, öffnete sich auch der 84-jährige Rippert. Er hatte die Maschine über dem Rhonetal in Richtung Marseille fliegend ausgemacht. Wahrscheinlich, so ein ehemaliger Pilotenkollege Saint-Exupérys, wollte der nach dem Misslingen seines eigentlichen Aufklärungsauftrags nicht mit leeren Händen zurückkommen - und beschloss, auf dem Rückweg den Hafen von Marseille oder Toulon zu fotografieren - zentrale Ziele für die Alliierten.
In seine Aufgabe versunken, bemerkte er den über ihm fliegenden deutschen Jäger wohl gar nicht. Dokumentiert und von der Luftwaffe offiziell anerkannt wurde der Abschuss nicht, weil es keine Zeugen gab und keine Trümmer der Maschine auffindbar waren.
"In unserer Jugend haben wir ihn alle gelesen, man hat seine Bücher bewundert", sagte Rippert, der nach dem Krieg als Sportberichterstatter des ZDF arbeitete und dessen Bruder als Sänger Ivan Rebroff bekannt wurde. Das Buch, das Rippert und viele andere Flugbegeisterte damals vor allem so liebten, war "Nachtflug", erschienen 1930, in dem "Saint-Ex" über den letzten, tödlichen Flug eines Piloten schrieb. "Der kleine Prinz" erschien erst 1946 in Frankreich, 1950 in Deutschland. Der Welterfolg für Saint-Exupéry kam posthum.