Paderborn

Patienten gucken in die Röhre

Einige Augenärzte in Paderborn lehnen Neuaufnahmen ab

08.03.2014 | 08.03.2014, 10:15
Wer einen Termin beim Augenarzt seines Vertrauens bekommt, kann sich glücklich schätzen. - © FOTO: DPA
Wer einen Termin beim Augenarzt seines Vertrauens bekommt, kann sich glücklich schätzen. | © FOTO: DPA

Paderborn. Ärztemangel im Hochstift? Was vielerorts Fakt ist, bleibt in dieser Region Zukunftsmusik - sagen Ärzteverbände und Krankenkassen. Ein Patient aus Dahl wurde bei einem örtlichen Augenarzt dennoch abgewiesen und kann das Nein des Praxisteams nicht nachvollziehen. Die NW hat bei dem Mediziner nachgefragt - und sich bei vier anderen Praxen nach Behandlungsterminen erkundigt.

Der knapp 60-Jährige möchte keinen Streit. Seine Stimme klingt ruhig, aber hörbar verständnislos, als er am Telefon von der Absage berichtet. "Ich habe gleich gesagt, dass ich kein Notfall und zeitlich flexibel bin. Komme, wenn?s halt passt", berichtet er von dem Gespräch.

Die Arzthelferin habe entgegnet, dass sie "keine neuen Patienten aufnehmen würden". Und da er vor vier Jahren das letzte Mal behandelt worden sei und nicht regelmäßig im Jahr, könne er nicht zur Behandlung kommen. Da er zuvor viele Jahre Patient in der Praxis war, kann er das Verhalten nicht verstehen. "Ich habe jetzt einen Termin in Salzkotten vereinbart - aber ich frage mich, was ältere Menschen machen".

Nachgefragt bei Augenarzt Frank Berlage: Er gibt bereitwillig Auskunft und schildert die Situation aus seiner Sicht. "Wir wollen den Patienten die Hilfe nicht verweigern." Es tue ihm leid, wenn jemand abgewiesen werden müsse - aber keinesfalls gehe es um persönliche Befindlichkeiten, sondern schlicht um die Tatsache, dass "der Tag nur 24 Stunden hat". Selbst Patienten, die beispielsweise wegen eines Vorstadiums des Grauen Stars regelmäßig zu ihm kämen, würden zurzeit Behandlungstermine im September oder Oktober erhalten.

Berlage sieht darin eine Auswirkung des Ärztemangels. Der Gesetzgeber verbietet ihm außerdem, an einen anderen Facharzt zu verweisen, Namen und Kontaktdaten als Empfehlung zu nennen. Besser aufgehoben sind die Versicherten in diesem Fall bei ihren Krankenkassen: Viele bieten Mitgliedern telefonischen Terminservice an und vermitteln einen Facharzt. Ein Favoriten kann genannt werden - Anspruch darauf gibt es in der Regel nicht.

Nachdem er sich mit Beschwerden von Patienten konfrontiert sah, die die Aufenthaltsdauer im Wartezimmer moniert hatten, instruierte Berlage seine Angestellten entsprechend. Laut Berufsordnung darf er so handeln: "Von Notfällen oder besonderen rechtlichen Verpflichtungen abgesehen" stehe es Ärzten frei, "eine Behandlung abzulehnen". Eine Studie von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung aus 2010 gibt Berlage Recht: Die Zahl der Augenärzte wird laut Schätzung der Experten kontinuierlich von knapp 5.000 auf 4.856 im Jahr 2020 sinken. Das Durchschnittsalter liege schon jetzt bei knapp über 51 Jahren.

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Unterwegs als Testpatient

Die NW hat nachgefragt: Der Anruf als neuer Patient bei vier zufällig ausgewählten Praxen für Augenheilkunde lieferte sehr unterschiedliche Ergebnisse und zeigt, dass Augenarzt Berlage in Paderborn kein Einzelfall ist.

Gefragt wurde nach einem Kontrolltermin für eine gesetzlich versicherte Person um die 60 – Routine und kein Notfall. Eine Praxis lehnte direkt ab, man nehme keine neuen Patienten mehr auf. Eine andere empfahl, sich zum Jahresende wieder zu melden, um dann Termine für 2015 zu vereinbaren.

Entspannt dagegen die Reaktionen in zwei anderen Augenarztpraxen: Eine Praxis bot zeitnahe Termine an, eine andere ab April. Ob die Person eventuell Privatpatient sei, hat übrigens keine Praxismitarbeiterin gefragt. (kg)

Die Nachfrage bei Krankenkassen und Verbänden zeichnet ein moderates Bild: Heinz-Josef Picht, Pressereferent der Aok Nordwest, spricht für Paderborn von einem Einzelfall. Allerdings sei "bekannt, dass die Augenärzte wegen recht hoher Patientenaufkommen Termine nur mit längeren Wartezeiten anbieten können".

Bärbel Brünger, Pressereferentin des Verbands der Ersatzkassen in NRW, zeigte sich überrascht. Jeder Arzt könne allerdings "in begründeten Fällen" die Behandlung eines Patienten ablehnen - außer es sei ein Notfall. Sie riet, sich bei Problemen immer an die eigene Krankenkasse zu wenden.

Christopher Schneider, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, bestätigt, dass die ambulante Versorgungslage im Kreis Paderborn "sehr gut" sei. 18 Augenärzte sorgten kreisweit für eine Abdeckung von 114 Prozent: "Ab 110 Prozent werden keine Neuzulassungen angenommen." Ähnlich gut sei die Versorgungsdichte mit Hausärzten: Von den 160 Medizinern seien allerdings 30 Prozent über 60 Jahre alt. PraxisWeitergaben seien in den kommenden Jahren daher "sehr wahrscheinlich", auch wenn es keine Altersgrenze mehr für praktizierende Ärzte gebe. Vakant seien Kassensitze nur im Gebiet Delbrück (zwei) und im Bezirk Büren/Wünnenberg (2,5).