Paderborn

Produzieren statt konsumieren

Selbermachen ist bei jungen Frauen wieder im Trend - Paderbornerinnen bieten Kreationen im Internet an

Irina Panten hat ihr Hobby zum Beruf gemacht - in ihrem Arbeitszimmer bastelt sie ihre Eigenkreationen, die sie dann auf der Online-Plattform Dawanda verkauft. | © FOTO: ANNIKA FALK

27.10.2012 | 27.10.2012, 17:06

Paderborn. Nachdem die Grünen das Stricken vor 30 Jahren sogar bundestagstauglich gemacht hatten, war Handarbeit in den Jahren danach eher eine Freizeitbeschäftigung für ältere Damen. Doch in Zeiten der Krise haben junge Frauen den Trend zum Selbermachen geprägt. Sie kochen Marmelade ein, nähen und basteln - und das Internet bietet ihnen optimale Vertriebswege.

Hätte sie Dawanda nicht kennen gelernt, würde Irina Panten heute Schüler in Deutsch und Mathematik unterrichten. "Dawanda hat mein Leben verändert", sagt die 29-Jährige, die nach dem Abitur ein Lehramts-Studium begonnen hatte. Dann wurde Tochter Leonie geboren, die Paderbornerin legte eine Uni-Pause ein. Und bastelte nebenbei: Lichterketten, dann Serviettentechnik, später Schmuck.

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Ein selbst gestecktes Ziel erreichen

Auch bei der Volkshochschule Paderborn ist ein deutlicher Aufwärtstrend für Kreative Gestaltung zu erkennen. "Es gibt Wellenbewegungen, in den 70er und 80er Jahren gab es einen Töpfer-Boom, danach kam eine Gesundheits- und Ernährungsphase", sagt Regina Brinkmann. Die stellvertretende Leiterin der Volkshochschule Paderborn freut sich besonders, dass seit einiger Zeit Stricken, Nähen und Kunsthandwerk auch bei jungen Menschen wieder angesagt ist. "Ein junger Mann hat vor Kurzem gefragt, ob wir nicht einen Kurs anbieten könnten, in dem man sein Geschirr selbst herstellt", so Brinkmann, die die Anregung sofort mitnahm.

Für das kommende Jahr plant die VHS eine Fahrt nach Dortmund zur Creativa, Europas größter Messe für kreatives Gestalten. Stark nachgefragt seien aktuell die Korsagen-Nähkurse und auch die Patchwork-Kurse sind sehr beliebt. "Wir haben aber auch Leute aus Metallberufen, die das Handwerk des Schmiedens zum Beispiel nicht mehr lernen und unsere Kurse als zusätzliche Qualifikation ansehen", so Brinkmann. Wichtig sei bei allen Kreativ-Kursen das Erfolgserlebnis, sich selbst ein Ziel zu setzen und zu erreichen. (faa)

Als ihr vor mehr als vier Jahren ein Gutschein für die Handarbeits-Plattform Dawanda in die Hände flog, kam ihr die Idee, den Schmuck nicht nur an Freunde zu verschenken, sondern im Internet zu verkaufen. "Anfangs waren es mehr Verkäufer als Käufer", erinnert sich die Blondine. Mittlerweile bieten 130.000 Hersteller den 1,7 Millionen Nutzern mehr als zwei Millionen Produkte an.

Fotos der Bräute

Irina Panten wird ab und an belächelt - bis sie erzählt, dass sie ein Gewerbe angemeldet hat und sich ihren Lebensunterhalt mit dem Schmuck verdient. "Ich musste erst das Selbstbewusstsein entwickeln, einen gewissen Preis zu verlangen", sagt Panten, deren Kunden vom Studenten bis zur 84-jährigen Bäuerin reichen. Im Sommer verkauft sie in ihrem Dawanda-Shop namens "Liebevolle Artikel" manchmal nur 20, in der Weihnachtszeit dann 300 Ohrringe, Ketten oder Fingerringe pro Monat.

Im Frühjahr kommen die Sonderanfertigungen für Bräute: "Einige schreiben mir, ob ich nicht die oder die Ohrringe mit einer Perle passend zum Brautkleid machen könnte." Am meisten freut sie sich anschließend über Fotos der Bräute mit ihrem Schmuck. Die Verkäufer-Kunden-Bindung bei Dawanda ist teilweise intensiv.

Anregungen für neue Kreationen bekommt Panten durch das Material, das sie meist im Internet bestellt. Am liebsten bastelt sie Vintage-Schmuck, träumt von einem kleinen Laden: "Ich genieße es, von niemandem abhängig zu sein." Ihre Tochter wird bald sieben Jahre alt und hilft manchmal, hat die kreative Ader von ihrer Mutter geerbt.

Zuerst am Weihnachtsmarkt verkauft

Auch Nicole Schölzel wurde das Kreative in die Wiege gelernt. Ihre Mutter ist Schneiderin, die 36-Jährige war lange Zeit eine "Nähniete", wie sie selbst sagt. Dann hat ihr eine Freundin Handstulpen gezeigt. Ihr Ehrgeiz war geweckt, sie holte die Nähmaschine vom Dachboden, die sie 15 Jahre zuvor von ihrer Mutter zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte.

"Auf Dawanda bin ich erst aufmerksam geworden, als ich Rüschenbänder für die Stulpen gesucht habe", sagt die fünffache Mutter. Kurz darauf hat sie ihre "Loops", pfiffige Schalkragen, auf dem Weihnachtsmarkt in Salzkotten verkauft und vor einem Jahr ihren Dawanda-Shop "LaLeLuDesign" eröffnet.

Neben den "Loops" bietet sie Körnerkissen, Wimpelketten, Windeltaschen und Stillschals an. "Das war eine Anregung einer Kundin, die meinte, ich könnte den ,Loop’ etwas weiter nähen, damit man das Baby reinlegen kann", erinnert sich die gelernte Hotelfachfrau, die lange als Flugbegleiterin gearbeitet hat. In ihren Beruf zurückzukehren kann sich Schölzel derzeit nicht vorstellen, die jüngste Tochter ist erst zwei Jahre alt.

Tipps holen bei Mama

So wurde das Arbeits- kurzerhand in ein Nähzimmer umgewandelt. Wenn die Kinder in Kindergarten oder Schule sind, sitzt Mama an der Nähmaschine oder kauft Stoff ein: "Ich leide regelrecht an einer Stoffsucht." Am beliebtesten bei ihren Kunden sind die "Loops" mit Sternenmuster und kuscheligem Innenteil.

Ihre Kunden - die sicher nicht aus reiner Sparsamkeit bei Dawanda einkaufen, denn ein Schal bei H&M oder C&A wäre günstiger - kommen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien. Sogar nach Dubai wurde bereits ein Schalkragen geschickt.

Die Hobby-Näherin ist stolz, dass sie mittlerweile so gut nähen kann, wenn sie aber mal ein kompliziertes Projekt wie Bettnestchen - zum Verkleiden von Baby-Gitterbetten - plant, holt sie sich den ein oder anderen Tipp von ihrer Mutter.

So folgen Nicole Schölzel und Irina Panten unbewusst dem Aufruf von Designerin Vivienne Westwood, die 2009 propagierte: "Werft euch in diesen harten Zeiten in Schale, und zwar in eine handgemachte. Do it yourself."