Pflegegelderhöhung 2024: Warum sich viele Paderborner trotzdem weniger Pflege leisten können

Kreis Paderborn. Als gute Nachricht hat es die Allgemeine Ortskrankenkasse verkündet: 16.890 Pflegebedürftige und ihre Pflegenden im Kreis Paderborn erhalten ab Januar 2024 stufenweise höhere Pflegeleistungen von ihrer gesetzlichen Pflegekasse, hieß es in einer Pressemitteilung. Hintergrund war die Änderung im Pflegeunterstützungs- und entlastungsgesetz (PUEG). Doch was bleibt in Zeiten von Inflation und durchaus berechtigten Lohnsteigerungen am Ende wirklich übrig? Wir haben bei der Pressestelle des Kreises Paderborn und in Sozialeinrichtungen nachgefragt. Was hat sich geändert? Aber von Anfang: Pflegegeld und die Pflegesachleistungen steigen um jeweils fünf Prozent. &bdquo;Im Laufe des Jahres werden Pflegebedürftige und ihre Angehörigen weiter entlastet“, kündigte AOK-Serviceregionsleiter Matthias Wehmhöner im Dezember 2023 an. Korrekt ist: Seit dem 1. Januar 2024 greifen die ersten Erhöhungen. Doch wirklich entlasten scheinen sie nicht. Ambulante Versorgung Im Bereich der ambulanten Versorgung sind die Budgets der Pflegesachleistungen zum 1. Januar 2024 um 5 Prozent erhöht worden. Je nach Pflegegrad haben Pflegebedürftige monatlich 761 bis 2.200 Euro Budget zur Verfügung, um Sachleistungen wie Körperpflege, Haushaltshilfe und individuelle Betreuung bei einem ambulanten Dienst in Anspruch zu nehmen, sagt Kathrin Waldhoff, Abteilungsleiterin Gesundheits- und Altenhilfe des Caritasverband für das Erzbistum Paderborn. Doch aufgrund der Tarifabschlüsse bei der Caritas und anderen Leistungsanbietern steigen Personalkosten und damit die Kosten für eben diese Sachleistungen - und zwar über die Erhöhung von 5 Prozent hinaus, sagt Waldhoff. &bdquo;Daher werden Pflegebedürftige trotz gestiegenem Budget in 2024 eher weniger Leistungen in Anspruch nehmen können als in 2023.“ Pflegekassen seien gesetzlich verpflichtet, nur noch mit Pflegeeinrichtungen Versorgungsverträge abzuschließen, die ihren Beschäftigten eine tarifliche oder eine tarifähnliche Entlohnung zahlen. Pflegebedürftige ab dem Pflegegrad 2, die zu Hause unentgeltlich von Angehörigen gepflegt werden, erhalten seit dem 1. Januar automatisch einen höheren Leistungsbeitrag. Ab Pflegegrad zwei gibt es die Geldleistung in Höhe von monatlich 332 Euro (bislang 316 Euro). Bei Pflegegrad drei beträgt die Geldleistung 573 Euro (bislang 545 Euro), bei Pflegegrad vier 765 Euro (728 Euro) und bei Pflegegrad fünf 947 Euro (901 Euro). Eine weitere Erhöhung des Pflegegeldes ist für 2025 geplant. &bdquo;In 2025 sollen dann auch die Beträge für Pflegesachleistungen noch einmal steigen. Danach sollen die Beträge alle drei Jahre an die Preisentwicklung in Deutschland angepasst werden. Das erste Mal voraussichtlich zum 1. Januar 2028“, sagt Wehmhöner. Tagespflege Die Tagespflegebudgets wurden nicht erhöht und bleiben unverändert. Doch werde es deutliche Erhöhungen bei den Kosten für den Besuch einer Tagespflege geben, sagt Waldhoff. &bdquo;Die pflegebedürftigen Menschen werden gegebenenfalls weniger Tage pro Monat die Tagespflege besuchen können.“ Vollstationäre Versorgung Für Bewohnerinnen und Bewohner von vollstationären Einrichtungen wurden zum 1. Januar die Leistungszuschläge der Pflegeversicherung je nach Verweildauer angehoben. &bdquo;Die Höhe des Leistungszuschlags hängt davon ab, wie lange eine Person bereits im Heim lebt. Er steigt mit der Pflegedauer“, sagt Wehmhöner: Bis zwölf Monate 15 Prozent (bislang fünf Prozent), bis 24 Monate 30 Prozent (25 Prozent), bis 36 Monate 50 Prozent (45 Prozent), über 36 Monate 75 Prozent (70 Prozent). Diese Zuschläge gelten aber nur für die pflegebedingten Kosten, ordnet Waldhoff ein. Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten sind nicht abgedeckt. Auch im vollstationären Bereich werden laut Waldhoff die Kosten steigen. Personalkosten und allgemeine Preissteigerungen, sowie die Umstellung des Personalbemessungssystems in der Pflege (§ 113c SGB XI) werde die Kosten in 2024 nochmals deutlich erhöhen. &bdquo;Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die durchschnittliche Verweildauer der Bewohnerinnen und Bewohner in vollstationären Pflegeeinrichtungen seit 2019 sinkt“, sagt Waldhoff. Die hohen Leistungszuschläge von 50 oder 75 Prozent, die bei einer langen Verweildauer übernommen würden, könnten von vielen Bewohnern gar nicht genutzt werden. VerhinderungspflegeAb Januar 2024 steht Pflegebedürftigen im Pflegegrad 4 und 5 unter 25 Jahren mehr Geld für die Verhinderungspflege zur Verfügung. Dazu können die Mittel der Kurzzeitpflege, die noch nicht verwendet wurden, vollständig anrechenbar sein, heißt es in einer Pressemitteilung der AOK. Somit können die pflegenden Angehörigen bis zu 3.386 Euro pro Kalenderjahr für die Verhinderungspflege beanspruchen. Zum 1. Januar 2025 soll dieser Betrag auf 3.539 Euro steigen. Pflegeunterstützungsgeld ab 2024 jährlich Müssen berufstätige Personen die Pflege eines Angehörigen in einer akuten Situation organisieren oder übernehmen, können sie sich dafür bis zu zehn Tage freistellen lassen. Diese Leistung konnte bislang nur einmal pro pflegebedürftiger Person beansprucht werden, ab diesem Jahr besteht der Anspruch wiederkehrend, schreibt die AOK. Lesen Sie auch: Mehrere Hundert Euro mehr: Kosten für einen Pflegeplatz im Kreis Paderborn steigen deutlich Reichen diese Erhöhungen aus, um eine ausreichende Entlastung zu gewährleisten? Nein, ist die klare Aussage von Waldhoff: &bdquo;Trotz der Erhöhung verschiedener Leistungen der Pflegekassen werden viele pflegebedürftige Menschen in 2024 weniger Leistungen in Anspruch nehmen können bzw. in vollstationären Einrichtungen deutlich höhere Zuzahlungen/Eigenleistungen zuzahlen haben.“ Auch Hans-Werner Hüwel, Bereichsleiter Pflege und Gesundheit beim Caritasverband Paderborn, sagt: &bdquo;Es reicht lange nicht“. Die derzeitige Erhöhung sei ein Nachjustieren an kleinen Stellschrauben. &bdquo;Eigentlich brauchen wir die große Reform.“ Trotz Zuzahlung der Pflegekasse würden Pflegebedürftige zu Sozialhilfeempfängern. Sind Pflegebedürftige nicht in der Lage, einen Teil der Pflegekosten selbst bezahlen, sind die Kosten gegebenenfalls aus Sozialhilfemitteln zu decken. &bdquo;Aktuell erhalten rund 850 Personen Sozialhilfe in Form von stationärer Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII“, sagt Diana Ramme, Sprecherin des Kreises Paderborn. &bdquo;Wie viele Personen möglicherweise künftig durch Kostensteigerungen oder ähnliches hinzukommen, können wir nicht sagen.“ &bdquo;Wenn man sieht, was die Leute zuzahlen müssen - wer soll das über Jahre bezahlen?“, fragt Hüwel. Laut dem Verband der Ersatzkassen (vdek) beläuft sich die finanzielle Eigenbeteiligung für Pflegebedürftige im Pflegeheim im ersten Aufenthaltsjahr in NRW derzeit auf durchschnittlich 2.892 Euro monatlich. Im zweiten Jahr sinken die Kosten auf 2.696 Euro, im dritten auf 2.434 Euro. &bdquo;In der Gesamtbetrachtung liegt NRW damit weiterhin über dem Bundesdurchschnitt und gehört mit zu den teuersten Ländern im Bundesvergleich“, heißt es in einer Pressemitteilung des vdek aus Januar 2024. Wo ist noch Geld zu holen? Das Pflegegeld sei ausreichend bekannt und etabliert, sagt Hüwel. &bdquo;Was noch nicht so richtig bekannt ist: die Tagespflege.“ Ein bestehender Leistungsanspruch bei einem ambulanten Pflegedienst werde durch die Tagespflege nicht gemildert. Tagespflege gebe es &bdquo;on top“. Ab Pflegegrad 2 übernimmt die Pflegekasse monatliche Leistungen: 689 Euro, 1.298 Euro (Pflegegrad 3), 1.612 Euro (Pflegegrad 4) bis maximal 1.995 Euro (Pflegegrad 5). &bdquo;Diese Leistung sieht beide Seiten, auch die der Angehörigen“, sagt Hüwel. Damit könne zum einen der Alltag der pflegenden Angehörigen vereinfacht werden, weil sie so etwas Zeit gewinnen. Aber auch Pflegebedürftige profitieren, weil sie anderen Input bekämen. Doch die Tagespflege sei weitgehend ungenutzt: Nur rund vier Prozent der Anspruchsberechtigten nutzen die Tagespflege, schreibt das Institut für Bildungs- und Versorgungsforschung im Gesundheitsbereich der FH Bielefeld im Oktober 2021 in einer Literaturanalyse. Frühzeitig planen, Wartelisten nutzen Nicht nur die Kosten sind ein Problem - überhaupt einen Platz zu bekommen, werde wegen des Fachkräftemangels immer schwieriger, sagt Hüwel. &bdquo;Die Situation ist ernst.“ Darum sollten sich Betroffene und deren Angehörige frühzeitig kümmern, etwa auf Wartelisten setzen lassen. &bdquo;Das ist ein Thema, mit dem beschäftigt man sich nicht gerne“, sagt Hüwel. Doch es sei sinnvoll, frühzeitig zu überlegen: Was gibt es in meinem Stadtteil? Was ist mir wichtig? Spätestens, wenn ein Pflegegrad festgestellt worden ist oder wenn die Frage &bdquo;Wie lange geht das hier noch gut?“ öfter gestellt wird, wird es Zeit. Etwa, wenn Personen immer öfter stürzen oder andere Probleme sich häufen. &bdquo;Das merkt man“, sagt Hüwel. Dann lohnt sich ein Gang zu Kreispflegeberatung. Auch frühzeitig. Ein &bdquo;zu früh“ gebe es praktisch nicht. &bdquo;Wir würden es richtig gut finden, wenn man sich früh meldet“, sagt Hüwel. Bei der Beratung müssten auch keine Daten angegeben werden. Wird der Platz doch noch nicht gebraucht, könne man ihn einfach ablehnen. &bdquo;Eine gute Beratung in Anspruch zu nehmen ist das A und O“, sagt auch Gabriele Kemkes aus dem Referat Wirtschaftliche Beratung des Caritasverbands für das Erzbistum Paderborn. &bdquo;Sich da alleine durchzuarbeiten ist relativ schwierig für die meisten“. Die Thematik sei komplex, auch die Antragstellung nicht immer einfach. &bdquo;Man muss sich da nicht schämen, dass man es nicht weiß“, sagt Kemkes. &bdquo;Es gibt keine doofen Fragen.“ Jeder habe einen Anspruch auf Beratung.

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