Radikalisierung

„Nazi sein war ein Vollzeitjob“: Aussteiger erzählt an Paderborner Schule seine Geschichte

Ein Ex-Nazi aus der rechten Szene spricht im Gymnasium Theodorianum. Er betont die Bedeutung von Prävention in der Schule und demokratiebildenden Veranstaltungen.

18.11.2023 | 18.11.2023, 02:25
Aussteiger Maik Scheffler (v. r.), Ausstiegshelfer Fabian Wichmann (Exit-Deutschland) und Volker Kohlschmidt (Demokratiebüro Vielfalt leben). - © Gymnasium Theodorianum
Aussteiger Maik Scheffler (v. r.), Ausstiegshelfer Fabian Wichmann (Exit-Deutschland) und Volker Kohlschmidt (Demokratiebüro Vielfalt leben). | © Gymnasium Theodorianum

Paderborn. Maik Scheffler macht Karriere als Nazi, dann plagen ihn Selbstzweifel, bis er schließlich aus der Szene aussteigt. Seitdem engagiert er sich gegen den Rechtsextremismus. So auch jetzt in Paderborn, als in der Aula des Theodorianum für die Schüler der 10. Klassen, der Q1, der Q2, interessierte Eltern und weitere Gäste ein Podiumsgespräch mit ihm und seinem Ausstiegshelfer, Fabian Wichmann von Exit-Deutschland, stattfand. Beide vermittelten ihre Blickwinkel auf die Vielfalt der rechtsextremen und rechtspolitischen Hintergründe.

Scheffler stellte sowohl seinen eigenen Radikalisierungsprozess als auch die Verführungsmechanismen des Rechtsradikalismus dar und beantwortete viele Fragen, teilt das Theodorianum mit. Er war 17 Jahre lang in der rechtsextremen Szene aktiv. „Nazi sein war ein Vollzeitjob“, sagt er. Desillusioniert und orientierungslos nach der Wende in Sachsen aufgewachsen, habe er zunächst in der linken Szene halt gesucht, wurde dann aber, wie viele andere Jugendlichen zu dieser Zeit, in einem rechten Jugendclub von der NPD rekrutiert.

Schnell stieg er in der Partei auf und wurde zum Organisationsleiter in Sachsen und später sogar zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der rechtsradikalen Partei. Zu Höchstzeiten habe er mehr als 500 Mitglieder aus seinem Netzwerk deutschlandweit für Demonstrationen und „politische Aktionen“ mobilisieren können. Viele der Mitglieder, einschließlich Scheffler, erhielten jene Anerkennung, die sie in ihrem vorherigen Leben nie erfahren hatten.

Seine Familie wurde durch seine Radikalisierung zerrüttet

Ihre radikale Ideologie habe sich dabei gegen den Staat, das politische System mit all seinen „Regeln“ und Gesetzen, gegen Ausländer, den Islam und das Judentum gerichtet. Fest in ihrem Weltbild verankert war auch die Einstellung, dass sie eigentlich die „Richtigdenkenden“ seien und andere von ihrer Denkweise, der „Wahrheit“, überzeugt werden müssten.

Dadurch, dass Maik bei Familienfeiern und ähnlichen Ereignissen oft versuchte, andere von seiner Sichtweise zu überzeugen versuchte, verschlechterte sich das Verhältnis zu seinen Verwandten mit der Zeit. Die Ablehnung und Distanzierung zur eigenen Familie trugen auch dazu bei, dass Scheffler sich immer tiefer in die rechte Szene integrierte, sodass er laut eigener Aussagen keine andere Wahl hatte, außer in der Szene zu bleiben: „Außerhalb der Szene hatte ich niemanden mehr, hatte ich keine Freunde, selbst meine Familie wollte keinen Kontakt mehr.“

Die Familie wurde durch seine politische Radikalisierung völlig zerrüttet, erst vor wenigen Jahren habe dann seine Schwester seine Freundschaftsanfrage auf Facebook akzeptiert, heute könne man sich wieder „begegnen“.Zahlreiche Gewalterfahrungen prägten Schefflers politischen Extremismus und trugen schließlich dazu bei, dass er an einen Ausstieg dachte, insbesondere als dann auch seine Familie bedroht wurde.

Jetzt klärt er über die Gefahren des Neonazismus auf

Als sein Mentor dann etwas tat, was völlig seinem eigenen damaligen Weltbild widersprach, konkretisierte sich sein Ausstiegswunsch. Denn auch den parteipolitischen Kurs wollte er nicht mehr mittragen, Kritik daran sei unerwünscht gewesen: „Man sagte mir: ‚Du darfst auch nicht vergessen, von wem du bezahlt wirst‘“. Er trat schließlich aus der Partei aus, wurde über die sozialen Medien verleumdet, verfolgt und von seinen vermeintlichen „Freunden“ ausgeschlossen. Schließlich wandte er sich an Exit-Deutschland und begann seinen Ausstiegsprozess. Hier habe er erkannte, dass die rechte Ideologie insgesamt das Problem darstelle, und nicht der Staat oder eine andere „Macht“.

Nach seinem etwa dreijährigen Ausstiegsprozess entschied er sich, Menschen über die Gefahren des Neonazismus aufzuklären und somit seinen persönlichen Beitrag zu einer wehrhaften Demokratie zu leisten. Er wolle so der Gesellschaft etwas zurückgeben, da er doch versucht habe, ihr vieles zu nehmen.

Auf die vielen Fragen aus der Schüler- und Elternschaft antwortete Scheffler unter anderem, dass seine Eltern seine Radikalisierung nicht hätten verhindern können. Er sehe die viel wichtigere Rolle bei der Prävention in der Schule. Demokratiebildende Veranstaltungen wie diese böten die Chance, junge Menschen für eine offene, respektvolle und tolerante Gesellschaft zu gewinnen.

Eine Firewall für Jugendliche

Schulleiterin Nicole Michaelis bedankte sich insbesondere bei Volker Kohlschmidt vom Demokratiebüro „Vielfalt leben“ des Kreises Paderborn für die Unterstützung der Veranstaltung und bei ihrem Kollegen Marvin Wehrmann. Dieser habe als Ansprechpartner von Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage maßgeblich das innerschulische Konzept weiterentwickelt und dadurch – wie Scheffler es bezeichnete – eine Firewall aufgebaut, die Jugendliche weniger anfällig für Extremismus werden lasse.

„Wie gut, dass ausgerechnet heute hier am Kamp, nicht weit vom jüdischen Mahnmal an der Alten Synagoge entfernt, ein Aussteiger so glaubhaft und überzeugt über die gegenwärtigen Gefahren des Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus aufklärt und dadurch den Geist der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit bei allen Teilnehmenden noch einmal nachhaltig stärkt“, resümierte die Schulleiterin am Ende des Podiumsgesprächs.