Daimler-Erpresser wirft Betonplatten auf Autos im Kreis Paderborn

Paderborn. &bdquo;Schlechte Neuigkeiten: Sie werden erpresst.“ Es ist eine reichlich flapsige Nachricht, die per E-Mail am Nachmittag des 28. April 2020 bei der Dortmunder Polizei eintrifft. Ein Mann gesteht, in den sehr frühen Morgenstunden von einer Brücke, die sich bei Erwitte über die A44 spannt, eine 15 Kilogramm schwere Betonplatte auf einen Mercedes Sprinter geworfen zu haben. Diese zerschlug die Windschutzscheibe. Weil sie aber auf dem Beifahrersitz landete, erlitt die 26 Jahre alte Kurierfahrerin, die allein unterwegs war, nur einige Verletzungen durch das gesplitterte Glas. Auf dem Standstreifen der Autobahn kann sie ihr Fahrzeug zum Stehen bringen. Sollten weitere solcher Anschläge vermieden werden, müsse der Daimler-Konzern 250.000 Euro bis zum 1. Mai 2020 auf ein Bitcoin-Konto einzahlen, verlangt der Absender der Mail. Ansonsten fielen &bdquo;weitere Steine vom Himmel“, so seine Drohung, der nächste Fahrer werde nicht nur mit einem Schock davon kommen. Weil keine Zahlung erfolgt, hält der Erpresser über Tage seine Drohkulisse aufrecht. In der Nacht des 4. Mai wirft er bei Oberntudorf, einem Stadtteil von Salzkotten, eine Betonplatte auf die Landesstraße 776, einen Tag später bei Hövelhof einen Gesteinsbrocken auf die A33. Menschen werden nicht verletzt, weil sich der Täter anscheinend zuvor davon überzeugt hat, dass kein Wagen auf der Straße unterwegs ist. Flankierend erreichen weitere E-Mails die Polizei und den Autokonzern. &bdquo;Der nächste Stein liegt schon bereit“, heißt es. &bdquo;Das kann zu meinem täglich Brot wie Zähneputzen werden.“ Da ist auch schon mal die Rede von &bdquo;russischem Roulette, bei dem jeder Stein tödlich ist“, bevor der Verfasser seine Nachricht mit den Worten beschließt: &bdquo;Liebe Grüße, Ihr Erpresser.“ Zugleich werden die Forderungen reduziert bis zum Schluss eine Anzahlung in Höhe von 30.000 Euro verlangt wird. 120 Ermittler suchen den Täter Währenddessen laufen im Hintergrund die Ermittlungen der Polizei auf Hochtouren. 120 Beamte sind dem Erpresser auf der Spur. IT-Spezialisten durchsuchen die virtuelle Welt nach dem Mann, der geschickt seine Identität verschleiert. In der realen Welt sind Fahnder nachts auf Streife und sichern Brücken. Hubschrauber kreisen, Hundeführer durchstreifen mit ihren Vierbeinern die Umgebung der drei Tatorte. Als am 13. Mai eine letzte Nachricht eintrifft, in der die Zahlungsmodalitäten formuliert werden, erfolgt in Geseke (Kreis Soest) der Zugriff eines Spezialeinsatzkommandos. Der 21 Jahre alte Andreas O. (Name geändert) wird im Haus seiner Eltern festgenommen. Ein halbes Jahr später ist von dem kaltschnäuzigen Erpresser vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Paderborn nicht viel übrig. Konfrontiert mit dem Vorwurf des versuchten Mordes vor dem Landgericht backt der junge Mann kleine Brötchen und legt ein detailliertes Geständnis ab. Offen erzählt Andreas O., der behütet aufwuchs, mit Drogen und Alkohol nichts am Hut hat, einen festen Freundeskreis pflegt und sich stets auf den Rückhalt seiner Eltern verlassen kann, wie er zu einem Erpresser wurde - vielleicht, weil er mit seinen Schwierigkeiten allein fertig werden wollte. Denn solche hatten sich eingestellt, als er mit seinem eigenen Online-Marketing-Unternehmen nur anfangs erfolgreich war und später zwischen 15.000 und 20.000 Euro Schulden vor allem beim Finanzamt anhäufte. Seinen Eltern gaukelte er vor, einen Job zu haben, um ihren Ermahnungen zu entgehen. Irgendwann sei er dann auf die Idee gekommen, mithilfe krimineller Aktivitäten seine Probleme auf einen Schlag zu beseitigen, sagt Andreas O. Im Internet sei er dann auf alte Erpresserfälle gestoßen. &bdquo;Ich hatte niemals vor, jemanden zu töten“, beteuert der 21-Jährige immer wieder. Aus der Untersuchungshaft hat er der Kurierfahrerin einen Brief geschrieben und um Entschuldigung gebeten. Er habe die Autos, die unter den Brücken fuhren, &bdquo;nur als rollende Blechkisten gesehen, als Mittel zum Zweck“. Auch vor Gericht wendet sich Andreas O. an die junge Frau. &bdquo;Ich bin froh, dass Sie heute hier sitzen können.“ 5.000 Euro hat er ihr vor Beginn des Prozesses gezahlt. "Es geht ums weitere Leben“ Für die 26-Jährige ist das ein nur kleines Trostpflaster. Sie musste nämlich nach ihrem nächtlichen Erlebnis ihren Beruf an den Nagel hängen. Sie könne einfach nachts kein Auto mehr fahren, erzählt die Hildesheimerin, die eigentlich gern den LKW-Führerschein gemacht hätte, den Richtern. Diese verhängen schließlich achteinhalb Jahre Gefängnis wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung und wegen versuchten Mordes. Andreas O. habe den Tod anderer Menschen billigend in Kauf genommen, sagen sie. Denn sein Handeln - der Wurf der 15 Kilogramm schweren Betonplatte von einer sieben Meter hohen Brücke auf ein Fahrzeug, das seinerseits zügig in nächtlicher Dunkelheit auf der Autobahn unterwegs war - sei für den Angeklagten &bdquo;nicht beherrschbar“ gewesen. Dass sie mit ihrem Strafmaß richtig lagen, zeigt sich ein gutes Jahr später, als sich eine andere Kammer des Paderborner Landgerichts nach erfolgreicher Revision des Angeklagten erneut mit dem Fall befassen muss. Andreas O. hatte vor dem Bundesgerichtshof vortragen lassen, das Schwurgericht habe mit ihrem Strafmaß nicht das von ihm gezahlte Schmerzensgeld berücksichtigt. Darüber denken nun die Richter erneut nach, folgen aber der Einschätzung ihrer Kollegen. Mitnichten, sagen sie in ihrer Urteilsbegründung, reichten die gezahlte Summe sowie die mehrfach geäußerte Bitte um Entschuldigung als Täter-Opfer-Ausgleich. &bdquo;Beides ist nicht zur Kompensation des erfahrenen Unrechts geeignet“, betonen sie und finden zum gleichen Strafmaß wie ihre Kollegen. &bdquo;Es geht nicht um Geld, es geht um andere Dinge, die wichtig sind. Es geht ums weitere Leben“, hat kurz zuvor die ehemalige Kurierfahrerin, die erneut als Zeugin aussagen muss, bemerkt und gefragt: &bdquo;Was ist ein Leben wert?“

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