Klinikchef aus Paderborn spricht über hohe Defizite und Bedingungen einer Fusion

Am Donnerstag haben Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darüber informiert, dass die St.-Vincenz-Krankenhaus GmbH einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung gestellt hat. Wie haben Sie den Tag erlebt? JÜRGEN THAU: Der Tag war emotional belastet. Es ist nicht einfach, in so einer Situation den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber zu treten, weil man natürlich genau weiß, dass das Wort "Insolvenz" schwierig ist. Das hat sofort einen negativen Beigeschmack. Die wichtigste Rolle, die wir in der Geschäftsführung in Zusammenarbeit mit den Generalbevollmächtigten einnehmen müssen, ist, Fragen zu beantworten und die Unsicherheit zu nehmen. Dass hier nicht morgen die Tür zugemacht wird und alle zum Arbeitsamt gehen müssen. Sie wollen Zuversicht aussenden. Gleichzeitig gibt es die Existenzängste der Mitarbeitenden. Sind die komplett unbegründet? Ja, die sind überwiegend unbegründet. Die Vincenz-Kliniken sind für die Krankenhaus-Versorgung im Kreis Paderborn nicht wegzudenken mit Angeboten wie der Schlaganfallversorgung, da haben wir die einzige Klinik im Kreis Paderborn, und der Geburtshilfe und Frauenheilkunde. Die Vincenz-Kliniken sind in der aktuellen Krankenhausplanung von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann fest verankert. Alle unsere Leistungsangebote sind auch im zweiten Votum der Krankenkassen komplett bestätigt. Und wir haben jeden Tag Einnahmen. Sie haben also auch nach der dreimonatigen Insolvenzgeld-Phase, in der das Geld von der Agentur für Arbeit ausgezahlt wird, keine Bedenken? Da gibt es keine Bedenken. Wir haben sichere Einnahmen. Wir wissen, dass wir damit bis weit ins Jahr 2024 abgesichert sind, Gehälter zahlen und an der Umstrukturierung des Hauses sowie an der Wirtschaftlichkeit arbeiten können. Und das müssen wir dem Amtsgericht, das hinter dem Insolvenzverfahren steht, auch nachhaltig deutlich machen. Dafür haben wir jetzt drei Monate Zeit. Wie sieht jetzt Ihre finanzielle Situation aus? In welcher Höhe von Defiziten sprechen wir da? Ich nenne da keine konkrete Zahl, denn der Jahresabschluss ist noch zu genehmigen und zu veröffentlichen. Da kann ich den Gremien nicht vorgreifen. Es ist ein Millionenverlust. Andere Kliniken haben auch massive Verluste, dort laufen derzeit aber keine Insolvenzverfahren. Die Mühlenkreiskliniken im Kreis Minden-Lübbecke rechnen beispielsweise in diesem Jahr mit einem Defizit von 26 Millionen Euro. Was ist bei den St.-Vincenz-Kliniken anders? Unser Verlust ist nicht so hoch wie der des erwähnten Hauses. Er ist noch ein gutes Stück niedriger. Wir haben mehrere Bausteine, warum wir jetzt in die Insolvenz gehen. Seit 2017 haben wir immer einen kleinen einstelligen Millionenbetrag im Defizit. Das müssen wir selbst lösen. Jetzt ist dieses Defizit deutlich gestiegen, im Wesentlichen durch einen externen Einfluss. Denn auf dieses kleine, verdaubare Defizit ist die Energiekrise draufgekommen. Da hatten wir einfach Pech, dass schon zum Start in diese inflationäre Energiepreis-Entwicklung unsere Lieferverträge ausgelaufen waren. Unsere Energiekosten haben sich vervierfacht. Darüber hinaus haben wir natürlich genauso teilgenommen an der üblichen Inflation, die bei Wäschereikosten, Reinigungskosten und mehr durchschlägt. Das ist bei uns alles im zweistelligen Prozentbereich teurer geworden. Und hierfür gibt es bis zum heutigen Tag und auch nicht auf Sicht eine entsprechende Gegenfinanzierung durch die Bundespolitik. Welchen Grund für die Insolvenz gibt es noch? Wir haben viel Pflegepersonal hinzugewonnen und brauchen an der Stelle kein Leihpersonal mehr von außen. Es gelingt aber momentan in der Krankenhaus-Branche nicht, uns zumindest nicht, hierfür rechtzeitig Budgetvereinbarungen mit den Krankenkassen hinzubekommen. Wir sind für das Personal, das wir aktuell beschäftigen, fast zwei Jahre in der Vorfinanzierung. Das sind zehn bis elf Millionen Euro, die wir vorfinanzieren. Aber dieses Problem haben andere Häuser auch. Was ist bei Ihnen anders? Es gibt andere Häuser, die vor der Pandemie wirtschaftlich besser aufgestellt waren als wir, und deswegen Reserven haben, von denen sie heute noch zehren. Bei uns gab es hingegen jetzt keinen zeitlichen Puffer mehr für diese inflationäre Kostenentwicklung. Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten zwölf Monaten deutlich mehr Krankenhaus-Insolvenzen erleben werden, weil bei vielen anderen irgendwann die Reserven aufgebraucht sind. Gab es auch hausintern Entscheidungen, die man als Fehler betrachtet und mit zur aktuellen Situation geführt haben? In der jüngeren Vergangenheit würde ich das nicht sehen. Das ist eher ein schleichender Prozess über viele Jahre hinweg, in denen wir Strukturschwierigkeiten erkannt haben. Aber wir agierten zu langsam. Da müssen wir besser werden. Die Bank für Kirche und Caritas möchte Ihnen nicht weiter einen Kredit geben. Auch ist zu hören, dass die Konten gesperrt sind. Das Kontensperren ist im Grunde irrelevant, weil das ein ganz normaler Akt ist, der nach der Insolvenzbeantragung erfolgt ist. Das ist nicht im Vorfeld passiert. Wir hatten mit der finanzierenden Bank einen Kontokorrentrahmen, der relevant für eine Zukunftssanierung ohne Insolvenz war. Dazu gab es finanzielle Unterstützung unserer Trägerin, den Barmherzigen Schwestern des Heiligen Vincenz von Paul. Wir wissen, dass die Tarifsteigerungen im kommenden Jahr von der Politik nicht gegenfinanziert werden. Dann droht eine akute Zahlungsunfähigkeit, wenn nur irgendwas Kleines passiert. Und das wollten wir mit aller Macht vermeiden. Eine ungeregelte Insolvenz wäre eine Katastrophe gewesen, das hätte dann auch die Trägerin belastet. Bei einer geregelten Insolvenz haben wir die Entscheidungen für den Erhalt des Hauses in katholischer Trägerschaft komplett in eigener Hand. Wären Sie den Eigeninsolvenz-Weg auch gegangen, wenn die Bank sich nicht zurückgezogen hätte? Das ist durchaus denkbar. Plan A: Sanierung ohne Insolvenz, Plan B: Sanierung mit Insolvenz. Es gab eine ganz hohe Priorität für Plan A, aber Plan B war präsent und wurde immer als Rückfalllinie vorbereitet. Es wurde deutlich, welche Risiken es bei Plan A gibt, selbst wenn die Finanzierung der Bank steht. Und es gab Empfehlungen der Experten, die wir im Haus haben: Plan B, sichert euch lieber ab. Es gibt eine nicht kleine Restwahrscheinlichkeit, dass wir das auch gemacht hätten, wenn die Bank gesagt hätte: "Wir sind auch weiter dabei." Jetzt hatten wir einen gewissen Entscheidungsdruck, aber wir stehen alle dahinter – die Gesellschafterin, der Aufsichtsrat, die Geschäftsführung. Neun bis zwölf Monate werden wir jetzt arbeiten, dann haben wir ein entschuldetes Haus und sind wieder investitionsfähig. Dann können wir wieder selber Geld in die Hand nehmen, um bauliche Veränderungen und ähnliche Verbesserungen durchzusetzen. Wie gehen Lieferanten mit der Situation um? Ist derzeit die Lieferung von Waren, die für den Klinik-Alltag wichtig sind, gefährdet? Das Risiko ist definitiv da. Das scheint, wenn man einen Insolvenzantrag stellt, ein völlig normales Prozedere zu sein, dass Lieferanten unsicher sind. Das wird aktuell bearbeitet. Wir haben dafür Schriftstücke aufgesetzt, um unsere Lieferanten zu informieren. Wir werden innerhalb von wenigen Tagen und Wochen schnell Liquidität aufbauen und unsere Lieferanten und Dienstleister pünktlich bezahlen. Es wird nicht das Thema sein, dass wir Rechnungen liegen lassen und eine erste oder zweite Mahnung bekommen. Das Verfahren steht zeitlich sehr nah zum Abgang des ehemaligen Hauptgeschäftsführers Josef Düllings, der Ende Juni gegangen ist. Wäre die Insolvenz jetzt auch mit ihm gekommen? Das ist reine Spekulation. Die Dinge stehen nicht im Zusammenhang miteinander. Die beiden anderen Paderborner Krankenhäuser, das Brüderkrankenhaus St. Josef und das Evangelische St. Johannisstift sind gerade auf dem Fusionsweg. Wäre angesichts der aktuellen Krankenhauslandschaft eine Fusion für die St.-Vincenz-Kliniken eine Option? Das ist ein Trend, den es schon lange gibt. Im Grunde sind die Vincenz-Kliniken, dadurch dass sie in 100-prozentiger Trägerschaft des Ordens und keiner größeren Verbundstruktur angeschlossen sind, eher eine Ausnahme in der deutschen Krankenhauslandschaft. Eine Fusion ist nicht das Allheilmittel. Ich will das für die Zukunft aber nicht ausschließen. Wenn wir nächstes Jahr entschuldet und saniert sind, haben wir als potenzielles Mitglied einer Fusion eine starke Verhandlungsposition. Denn wenn, dann muss es eine Fusionierung sein, die das Haus nach vorne bringt. Und das kann nur Sinn machen im Bereich eines medizinischen Fachkonzeptes, dass man sich da verstärkt. Oder es kann sinnhaft sein, dass man sich ökonomisch verstärkt. Wir haben aktuell aber keinerlei Gespräche aufgenommen und Vorüberlegungen getroffen. Wenn wir aus der Insolvenz nächstes Jahr hinausgehen, wird es um die Frage gehen: Was könnten die nächsten strategischen Schritte sein?

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