"Aussetzen ist bittere Realität": Spontankäufe füllen das Tierheim

Paderborn. Manchmal gehen Tierheim-Geschichten gut aus. Geschichten wie die von Jack-Russel-Mix Timmy, der nach vier Jahren eine Familie fand, sind so selten, dass Leiterin Karin Keuter sie selbst oft genug vergisst. Denn auch im zweiten Pandemie-Jahr sah das Tierheim Paderborn wieder eine Welle an abgegebenen Fellnasen auf sich zukommen - und außergewöhnlichere Haustiere, vom Hahn bis zur Schildkröte. Der private Tierschutzverein finanziert die Arbeit hauptsächlich über Mitgliederbeiträge und Spenden. Als also Menschen inmitten der Pandemie teilweise überstürzt oder aus Langeweile Tiere anschafften und ebenso überstürzt abgaben oder gar aussetzten, stand das Tierheim vor einer Herausforderung. Dieses Jahr war keine Ausnahme. Leiterin Karin Keuter erzählt von einem fünf Monate alten Schäferhundwelpen, der abgegeben wurde, weil er geknurrt hatte - "nach einem Tag", betont Keuter sichtlich entrüstet. Es werde immer offensichtlicher, dass Menschen Tiere nicht mehr als Lebewesen anerkennen. Ein anderer Hund wurde betäubt abgegeben. "Aussetzen ist bittere Realität" Es sei leider kein Klischee, dass Tiere einfach ausgesetzt werden. Besonders Hundebesitzer seien häufig überfordert. Die Tiere, die im Paderborner Tierheim landen, müssten häufig erst "vermittlungsfähig" gemacht werden. Eine Tiertrainerin arbeitet wöchentlich mit den Mitarbeiterinnen und ehrenamtlichen Gassigehern. Häufig fehle es an Geduld, Zeit und Einsatz. "Wenn ich einem ängstlichen Hund jeden Tag die Leine anlege, ist das ein Lernprozess", sagt Keuter. "Sie brauchen Rituale, Struktur und Geduld." Fast die Hälfte der Hunde sei durch eine schlimme Vorgeschichte geprägt. 28 Hunde, 102 Katzen, 32 Kaninchen und Meerschweinchen, zwei Hähne, zwei Schildkröten, drei Igel und eine Taube leben Ende Dezember im Tierheim an der Hermann-Löns-Straße. "Tiere müssen funktionieren wie Staubsauger" Grund für die zügige Abgabe sei eine Kombination aus Täuschung durch Verkäufer und fehlende Vorbereitung. Häufig sei das Vertrauen des Tiers nach dem Verkauf verschwunden. Dann sind Tiere, die beim ersten Treffen zutraulich wirkten, plötzlich sehr zurückgezogen. "Geben Sie den Tieren Zeit", appelliert Keuter. "Sie müssen sich an die neue Situation gewöhnen können."Allgemein bemerke sie eine zunehmende Ungeduld bei Tierhaltern. Früher hätten Menschen die Tiere genommen, wie sie sind. Kam ein Hund mit anderen Hunden nicht klar, ging man denen eben aus dem Weg. Das sei jetzt anders: "Der Hund muss heute funktionieren wie ein Staubsauger", sagt Keuter. "Die Anforderungen an Tiere sind immens gewachsen." Auch der Trend, Tiere zu verschenken, ist deutlich zu spüren, sagt die Tierheimleiterin. Nach etwa einem halben Jahr würden viele Tiere abgegeben - oder zu Ostern, wenn der Urlaub ansteht. In diesem Jahr hat das Tierheim Paderborn weit mehr als 600 Katzen und über 200 Hunde aufgenommen. An den steigenden Zahlen der Wildtieraufnahmen sieht Keuter aber auch etwas Positives: "Die Leute sind aufmerksamer geworden." Pandemie bringt Veränderung Durch die Pandemie wurde die Vermittlungsart umgestellt: Interessierte können derzeit nur mit Termin zum Tierheim kommen. Das führe zu einer besseren Beratung. "Wir können gezielter vermitteln", sagt die Leiterin. Auch die Hunde seien dadurch entspannter. Wegen der erhöhten Anzahl der Hunde wurde der Freilauf auf rund 600 Quadratmeter verdoppelt. Liegepodeste und Wetterschutz sind geplant. Aktuell wird davon ausgegangen, dass viele der Fellnasen das Tierheim nicht mehr verlassen werden - daher ist es neben der Vermittlung auch ein Ziel, ihr Leben positiv zu gestalten. Schwer vermittelbarer Timmy findet Zuhause "Die guten Sachen gehen manchmal unter", sagt Keuter. Aber es gibt sie. Timmy galt als unvermittelbar. Der Jack-Russel-Mix war misstrauisch, griff Menschen an. Anfang dieses Jahres wird Timmy von einer Familie aufgenommen. "Da hat's gepasst, weil sie wussten, worauf sie sich einlassen." "Ich dachte mir: Das hört sich genauso an wie bei meinem vorherigen Hund", erinnert sich Dorit Zwosta. Nach kurzem Kennenlernen nimmt sie den Mischling mit nach Hause. "Uns war klar: Egal wie schwer es wird, wir versuchen, ihn zu verstehen." Und es sollte schwer werden. So wie das Tierheim kennt auch Zwosta nicht seine genaue Vorgeschichte. Immer wieder gab es Situationen, in denen sie sich sein Verhalten nicht erklären konnte. Man dürfe keine Erwartungen stellen, sagt Zwosta. "Ein traumatisierter Hund schnappt nicht nach der Person, sondern wegen der Situation."Unvoreingenommen zu bleiben, sei aber auch für sie schwierig gewesen, räumt Zwosta ein. "Es ist nicht einfach, das nicht persönlich zu nehmen." Genau das täten viele - und das sei der Fehler. "Man muss weitermachen und darf nicht in schrecklichen Situationen verharren." Inzwischen habe sich das Zusammenleben eingependelt, auch wenn es weiterhin Einschränkungen gibt und geben wird. "Man muss das Leben auf einen Hund einstellen - auch auf nicht traumatisierte."

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