Transmann: "Ich habe mit 13 Jahren aufgehört, ins Freibad zu gehen"

Paderborn. Wenn Henry* im Supermarkt mit "Kann ich dem Herrn weiterhelfen?", angesprochen wird, löst das Glücksgefühle bei ihm aus. Der 21-Jährige wurde mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren und ist heute Transmann. Der Paderborner Student hatte die Idee, Extra-Schwimmzeiten für Transmenschen in Paderborn anzubieten. Ecki Steinhoff (Linke) brachte die Idee dann auf die politische Agenda. Sportdezernent Wolfgang Walter machte nun die Zusage: Es wird Sonderzeiten für Transmenschen im Kiliansbad geben. "Damit hat echt keiner gerechnet", sagt Henry. Er engagiert sich in der queeren Jugendgruppe Ohana und in der Paderborner Trans-Selbsthilfegruppe. Er wird nach eigenen Angaben mit Anfragen für die Selbsthilfegruppe überschüttet. Für viele Transmenschen sei das Schwimmen in einem geschützten Umfeld "unfassbar viel wert". Warum eigentlich? Viele Transmenschen meiden Henrys Erfahrung nach Schwimmbäder. "Ich habe mit 13 Jahren aufgehört, ins Freibad zu gehen", erinnert er sich. Der Gedanke, einen Bikini tragen zu müssen, sei demütigend gewesen. Als er dann 15 Jahre alt wird, gesteht er sich ein: "Ich bin ein Transmann." Es folgt der Rausschmiss bei den Eltern mit 16, lange Kämpfe mit Behörden und Krankenkassen um Kostenübernahmen und Namensänderung. Mit 18 startet Henry die Hormonbehandlung, in den Jahren danach folgen zwei Operationen: Die Entfernung der Brüste und die Entfernung der Eierstöcke und Eileiter. Henry wirkt männlich und das will er auch. Er sitzt in Kapuzenpullover und Basecap auf dem Sofa und fährt sich immer wieder mit den Fingern durch den Bart. Seine Stimme ist tief, sein Grinsen meist breit. Doch das sei nicht immer so gewesen: "Ich hatte Suizidhandlungen und schwere Depressionen." Er habe sich nicht irgendwann dafür entschieden, ein Mann zu sein, sondern dafür entschieden, zu leben. "Und jetzt spüre ich jeden Tag: Es ist so viel besser. Da ist so viel mehr Lebensqualität." "Diese Frage stellt man nicht" Doch sein Weg dahin hat Spuren hinterlassen. Auf die Frage, wie Henrys Geburtsname lautet, wird er still und ernst. "Diese Frage stellt man nicht", sagt er. Es sei die Frage nach dem sogenannten Deadname (englisch für "toter Name"). So wird der Name bezeichnet, der abgelegt oder geändert wurde. Henry erklärt, der Deadname sei für viele Transmenschen eine sehr sensible und emotional aufgeladene Angelegenheit. "Der Kampf war so schwer und der Deadname erinnert mich immer an dunkle Zeiten", sagt er. Seine Geburtsurkunde, sein Abiturzeugnis: Er habe überall seinen selbst gewählten Namen eintragen lassen. Diese Erfahrung macht auch Ecki Steinhoff, wenn er auf Transmenschen trifft: "Wenn wir beispielsweise mit unserer Ohana-Gruppe einen Ausflug machen, müssen auf den Bahntickets die Namen stehen, die auch im Personalausweis stehen. Doch damit identifizieren sie sich nicht mehr und wollen den Namen meist geheim halten." Sichelförmige Narben auf der Brust Transmenschen brauchen einen Schutzraum, meint Henry. Das sei der große Vorteil vom Trans-Schwimmen. "Es wäre eine Gelegenheit für Transmänner, Badeshorts zu tragen ohne die sichelförmigen Narben auf der Brust erklären zu müssen." Transfrauen könnten laut Henry Bikini tragen, auch wenn sie kein Brustwachstum haben. Viele seien aus Angst vor den Umkleiden, den Duschen, der Angst vor Diskriminierung seit Jahren nicht mehr ins Schwimmbad gegangen. Henry fürchtet sich bis heute, Menschen aus seiner Schulzeit zu treffen, die ihn in einer anderen Geschlechterrolle kennen. Doch für die Forderung nach Extra-Schwimmzeiten für Transmenschen hagelte es auch Kritik. Besonders in den sozialen Netzwerken wurde bemängelt, Transmenschen würden sich so selbst ausgrenzen oder andere Gruppierungen würden auch Extra-Zeiten beanspruchen. "Natürlich wäre es toll, wenn es kein extra Trans-Schwimmen brauchen würde, weil die Gesellschaft niemanden diskriminiert", sagt Henry. Doch so weit sei man noch nicht. Er hofft darauf, dass sich durch die Extra-Schwimmzeiten eine Gruppe bildet, die sich irgendwann gemeinsam traut, das Schwimmbad zu den regulären Öffnungszeiten zu besuchen. * Name von der Redaktion geändert

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