Geburt: Über die Bindung zwischen Hebamme und werdender Mutter

Paderborn. Eine Geburt mit einer Hebamme, die sie vorher nicht kennt? Das kommt für Anja Pötting nicht infrage. Derzeit ist sie mit ihrem vierten Kind schwanger und hat sich wie schon dreimal zuvor ganz bewusst für das Geburtshaus Paderborn entschieden. Während ihrer ersten Schwangerschaft hatte die 35-Jährige aus Salzkotten auch über eine Hausgeburt nachgedacht, war übers Googeln im Internet dann aber auf das Geburtshaus gekommen und "überrascht, dass es so etwas in Paderborn gibt". Wie alle anderen Frauen, die ins Geburtshaus gehen, lernt Pötting vor der Entbindung das komplette achtköpfige Geburtshaus-Team kennen. Für ihre erste Geburt musste sie zwar in die nahe Frauen- und Kinderklinik St. Louise, weil das Kind zehn Tage übertragen war. Bei den beiden folgenden Kindern klappte es dann aber mit der Entbindung im Geburtshaus. Im 2010 eröffneten Geburtshaus Paderborn bekommen die Frauen eine Rundumbetreuung. 90 Geburten gab es hier im vergangenen Jahr. Die Zahl der Geburten ist damit im Vergleich zu den rund 4.100 Geburten auf den drei Geburtshilfe-Stationen im Kreis Paderborn überschaubar. Doch es ist ein besonderes Angebot der außerklinischen Geburtshilfe - für werdende Mütter, und auch für Hebammen. Die Bindung der Hebamme zur werdenden Mutter ist ganz besonders Kerstin Jessen, mit Dagmar Büssemeier eine von zwei geschäftsführenden Gesellschafterinnen des Geburtshauses, glaubt, dass es im Raum Paderborn grundsätzlich einen Bedarf an Hebammen gibt, der nicht gedeckt wird. Wie viele Hebammen es hier genau gibt, kann die 51-Jährige nicht sagen. "Es gibt keine Zahlen. Aber ich habe das Gefühl, es sind zu wenige." So könne es sein, dass eine Frau erst beim 70. Anruf eine Hebamme findet. Allen Frauen, die sich im Geburtshaus erkundigen, sage sie, dass sie sich frühzeitig um eine Betreuung kümmern sollen. Beim zweiten oder dritten Kind machen die Hebammen aber vielleicht auch mal eine Ausnahme und nehmen auch mal eine Frau zusätzlich an. Früher habe es regelrechte Hebammen-Castings gegeben, sagt Jessen. "Da wurden mehrere Kolleginnen zu sich nach Hause gerufen." Doch irgendwann ging das nicht mehr, der Aufwand wurde einfach zu groß. Dabei haben die Hebammen Verständnis für das Vorgehen, da die Bindung zwischen der werdenden Mutter und ihrer Hebamme eine ganz besondere sei. Jessen habe im Moment viele Anfragen von werdenden Müttern. "Wenn die Glück haben, finden sie eine Hebamme." Wer länger erfolglos suche, der soll sich ans Gesundheitsamt oder seine Krankenkasse wenden. Manche Hebammen haben noch eine Teilzeitstelle im Krankenhaus - Stationen für Geburtshilfe gibt es in Paderborn in der Frauen- und Kinderklinik St. Louise des St.-Vincenz-Krankenhauses und im St. Johannisstift sowie im St.-Josefs-Krankenhaus in Salzkotten (gehört zum St.-Vincenz-Krankenhaus). Aus diesem Grund könnten sie nicht unzählig viele Frauen betreuen. Arbeitsbedingungen sind alles andere als ideal Was es in Paderborn gar nicht mehr gibt, sind Beleghebammen. Also freiberuflich tätige Hebammen, die eine Frau während der Schwangerschaft, der Entbindung und der Zeit im Wochenbett betreuen. Der Hauptgrund dafür liegt in der hohen Haftpflichtversicherung, die freiberufliche Beleghebammen zahlen müssen. Mittlerweile habe sich die Situation etwas entspannt, da die Krankenkassen von dem Versicherungsbeitrag von jährlich 9.000 Euro eine sogenannte Sicherstellungszuzahlung von 5.000 Euro übernehmen, sagen Jessen und ihre Kollegin Lena Reineking. Dennoch müsse man relativ viel machen, damit es sich lohnt. "Die Freiberuflichkeit lohnt sich nur, wenn man eine entsprechende Zahl von Frauen betreut", sagt Reineking (30). Falle die Begleitung während der Geburt weg und übernehme eine Hebamme nur die Vorsorge und Betreuung im Wochenbett, beträgt die Versicherungssumme nur 1.000 Euro. Vor einigen Jahren gab es aufgrund der Versicherungsthematik bundesweite Demonstrationen. Auch in Paderborn gingen Hebammen und Eltern auf die Straße. "Wir Hebammen können zwar immer viel protestieren. Aber am Ende leiden die Frauen darunter", sagt Jessen. Allerdings seien auch die Arbeitsbedingungen bei den festangestellten Hebammen in den Kliniken alles andere als ideal, weiß Jessen aus regelmäßigen Gesprächen mit Kolleginnen. Aufgrund niedriger Personalschlüssel komme es dort vor, dass eine Hebamme bis zu vier Frauen gleichzeitig betreuen müsse. Das Spektrum der Betreuung reicht vom Beischlaf bis zur Beikost Dabei sei die Situation in Paderborn insgesamt noch recht gut, sagt Jessen. Ein Grund sei die Hebammenschule des St.-Vincenz-Krankenhauses, wo von insgesamt 75 Schülerinnen jedes Jahr 25 mit ihrer Ausbildung fertig werden. Allerdings werde die Ausbildung ab 2020 wie bei allen Pflegeberufen aufgrund einer Neuordnung verändert. Als mangelhaft empfinden Jessen und Reinking die Aufklärung der werdenden Mütter über das, was Hebammen alles leisten. Und dabei seien die Frauen heute schon informierter als früher. Von der Aufklärung zur Familienplanung über Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen (ohne Ultraschall), Kursprogramme, Hilfen bei Beschwerden bis zur Geburtsbegleitung, Betreuung im Wochenbett (ab drei bis vier Stunden nach der Geburt) und Stillberatung, aber auch Hilfe bei Wochenbett-Depression und Nachsorge bei Fehl- oder Totgeburten reicht das Spektrum. Jessen bringt die damit etwa anderthalbjährige Zeit auf die griffige Formel "Vom Beischlaf bis zur Beikost". In drei Teilen bietet diese kleine Serie Informationen für werdende und junge Eltern. Es folgen die Themen Kinderbetreuung und Grundschule.

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