Paderborn. "Die Kontrolle der Gesellschaft über die Individuen vollzieht sich nicht nur durch das Bewusstsein oder die Ideologie, sondern auch im Körper und mit dem Körper", meinte der Philosoph Michel Foucault. Der Psychologe und Neurowissenschaftler Burkhard Wiebel, Referent bei einer Veranstaltung des Linken Forums Paderborn zum Thema "Profitable Hirne. Das Geschäft mit unseren Neuronen", pflichtete dem bei und konkretisierte: "Die moderne Hirnforschung hat neben wichtigen Erkenntnissen zur Anatomie und Biochemie des Gehirns bislang ungeahnte Möglichkeiten zur normierenden Verhaltenssteuerung und -kontrolle im Dienste des neoliberalen Kapitalismus eröffnet. Wir befinden uns auf dem Weg in eine neue Kontrollgesellschaft."
Geschuldet sei dies dem kommerziellen Zugriff auf Forschungsergebnisse durch mächtige Pharmakonzerne sowie durch ihre Indienstnahme durch Militärs, Geheimdienste und Staaten.
Die verantwortungslose Überschwemmung der Märke mit Psychopharmaka, das flächendeckende Ausspähen intimer Informationen und deren Verknüpfung mit biometrischen Daten oder die Erprobung neuer Erkennungssysteme in der Drohnentechnologie seien nur einige Beispiele für erschreckende Anwendungen aus der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung. Doch der Normierungszwang unter neoliberalem Regime sei auch Selbstzwang: Um den verschärften Leistungsanforderungen in Turbo-Ausbildungsgängen noch gerecht werden zu können, verabreichten sich "Studi-Junkies" regelmäßig erhöhte Dosen etwa des leistungssteigernden, aber auch persönlichkeitsverändernden Präparats Ritalin. Längst habe sich die Modedroge US-amerikanischer Studenten auch in Europa etablieren können. "Eines ist sicher: Mit solcher Selbstzerstörung kann es nicht weitergehen", betonte Wiebel.
Dennoch wollte der Hirnforscher sich nicht in Pessimismus und Schwarzmalerei üben. So habe die Forschung auch nahezu unbegrenzte menschliche Fähigkeiten zu kreativer Entfaltung aufzeigen können. Mit dem Stichwort der "Neuroplastizität" sei das hochdynamische Interagieren des Gehirns mit veränderten Umweltbedingungen bezeichnet - bis ins hohe Lebensalter.
Den Neurobiologen und Kritiker des herrschenden Bildungssystems, Gerald Hüther, zitierend, zeigte sich Wiebel überzeugt, dass es durchaus möglich sei, mit 91 Jahren in kurzer Zeit die philippinische Sprache zu erlernen. Wiebel: "Voraussetzung ist, neben körperlicher Gesundheit, ein heftiges Verliebtsein in einen Einheimischen."
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