
Paderborn. Was für das Westfalen-Kolleg normal ist, mag andere Schulen vielleicht erst einmal abschrecken. Hier hat jeder Studierende des Zwei-ten Bildungswegs eine gebrochene Bildungsbiografie. Vor dem Ziel, dem Abitur, gab es eine berufliche Ausbildung oder einfach jahrelanges Jobben. Das Kolleg am Fürstenweg bietet zweite Chancen, Semester um Semester – und das seit 50 Jahren. Groß gefeiert wird dies am Freitag, 27. Juni.
Die Motivation, das Westfalen-Kolleg zu besuchen, ist heute die gleiche wie früher, sagt Kollegleiter Manfred Krugmann. Es sei die Perspektive junger Menschen bildungsmäßig einen Aufstieg zu schaffen. "Sie haben die Möglichkeit, ihre Flexibilität zu zeigen und diese Chance wollen sie nutzen", sagt Krugmann.
Mittags Festakt, abends Fete
Der offizielle Festakt zum 50-jährigen Bestehen des Westfalen-Kollegs am Freitag, 27. Juni, beginnt um 13.30 Uhr.Es spricht unter anderem NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann.
Kabarettistische Anmerkungen zu 50 Kolleg-Jahren gibts von Eckhard Radau, Kabarettist und im Sommer in den Ruhestand gehender Lehrer am Kolleg.
Im Rahmenprogramm gibt es Szenen des Schwarzen Theaters unter der Leitung von Frank Böck und Musik (Andreas Seifert mit Band).
Ab 15.30 Uhr ist das Schulfest offen für alle Gäste.
Um 19 Uhr beginnt die traditionelle Kollegfete.
Als die Schule zum 1. November 1964 unter dem Gründungsleiter Karl Schick an den Start ging, hieß sie noch Staatliches Institut zur Erlangung der Hochschulreife. In der Anfangszeit wurde in Baracken an der Benhauser Straße unterrichtet, an der Stelle, wo heute der Ring zur Detmolder Straße abzweigt. Aus dem geplanten Provisorium – damals war ein Neubau am Pohlweg in Aussicht gestellt – wurde eine Lösung für 13 Jahre. Der Umzug an den Fürstenweg, auf das Gelände der ehemaligen "Curanstalt Inselbad", folgte 1977. Das Kolleg übernahm hier die Räume der zuvor untergebrachten Pädagogischen Hochschule. Ein Jahr zuvor, 1976, hatte Reinhold Lüdtke die Schulleitung von Schick übernommen. Ihm folgte von 1989 bis 1993 Franz-Josef Behet. Seit 1993 ist Manfred Krugmann Kollegleiter.
Initiiert worden war der Zweite Bildungsweg einerseits aufgrund des sogenannten Sput-nik-Schocks: Die Befürchtung, der Sowjetunion in Zeiten des Kalten Krieges hinterherzuhinken, führte zu einer Öffnung des Zugangs zur Bildung. Zugleich hatte der Pädagoge Georg Picht Anfang der 60er Jahre für Deutschland eine "Bildungskatastrophe" erkannt und grundlegende Reformen des Schulsystems gefordert.
Bildungsbenachteiligung ha-be heute jedoch andere Gründe als in der Pionierzeit des Zweiten Bildungsweges, sagt Krugmann: "Und auch als noch vor 25 Jahren." Früher war es das klassische katholische Mädchen vom Land, dem die potenzielle Schulbildung verwehrt wurde. Heute seien es vor allem junge Männer aus der Großstadt mit einem Migrationshintergrund. Die größte Herausforderung sei es, den Spagat zu schaffen zwischen einer immer stärker an die gymnasiale Ausbildung angepassten Schulform und der zugleich immer heterogener werdenden Studierendenschaft, sagt Krugmann. Er spricht von einem "Homogenisierungsdruck": So gäbe es nicht mehr wie früher Möglichkeiten zum fächerübergreifenden Lernen.
Dabei sind besondere pädagogische Ansätze auch beim Zweiten Bildungsweg immer wichtiger. Der stellvertretende Schulleiter Roland Hermes sagt, "dass es seit etwa zehn Jahren notwendig sei, lernbegleitende Maßnahmen zu entwickeln". Ein Grund sei die im Verbund mit der Schulzeitverkürzung an Gymnasien herunter gesetzte Altersgrenze. Musste jemand früher mindestens 19 Jahre alt sein und eine dreijährige berufliche Ausbildung, Arbeitstätigkeit oder auch Kindererziehungszeiten vorweisen, reichen heute zwei Jahre. Zudem ist der Zugang zum Westfalen-Kolleg schon mit 18 Jahren möglich.
Dennoch sei es ungemein "wichtig, dass es diese Schulform gibt", sagt Hermes: "Wir sind ein Korrektiv in unserer Schullandschaft." Auf den Punkt bringt dies das Motto des kommenden Abitur-Gottesdienstes: "Man muss vom Weg abkommen, um nicht auf der Strecke zu bleiben."
Pro Halbjahr – das Schuljahr am Kolleg ist in zwei Semester unterteilt, so dass ein Start nicht nur nach den Sommerferien, sondern auch zum Februar möglich ist – beginnen etwa 90 junge Menschen damit, ihr Abi-tur nachzuholen. Hinzu kommen 50 weitere Studierende im Sommer, wenn zudem der Ausbildungsgang Abitur Online und das Abendgymnasium am Vormittag starten. Etwa zwei Drittel verlassen das Kolleg mit dem Fachabitur oder der allgemeinen Hochschulreife. Die Gründe, sagt Hermes, seien dabei so zahlreich wie die Kollegiaten.⋌www.wkpb.de