Büren

Schullärm beeinträchtigt Lernen

Josef Köjer macht im Bürener Schulausschuss Probleme einer inklusiven Bildung für Gehörlose erlebbar

05.04.2013 | 05.04.2013, 00:11
Josef Köjer setzt im Informatik-Unterricht an der Moritz-von-Büren-Schule die technischen Voraussetzungen wie Raumakustik, Anordnung der Arbeitsplätze und Absenkung der Bildschirme sowie die Lautsprecheranlage zusammen mit pädagogischen Maßnahmen ein, um Barrieren zwischen Lehrer und Hörgeschädigten abzubauen. - © FOTO: MARC KÖPPELMANN
Josef Köjer setzt im Informatik-Unterricht an der Moritz-von-Büren-Schule die technischen Voraussetzungen wie Raumakustik, Anordnung der Arbeitsplätze und Absenkung der Bildschirme sowie die Lautsprecheranlage zusammen mit pädagogischen Maßnahmen ein, um Barrieren zwischen Lehrer und Hörgeschädigten abzubauen. | © FOTO: MARC KÖPPELMANN

Büren. Josef Köjer machte die Mitglieder des Bürener Schulausschusses hellhörig. Im Ratssaal baute der Leiter der Moritz-von-Büren-Schule erst einmal Barrieren für seinen Vortrag zum Thema inklusive Bildung und Hörgeschädigte ab. Einige Lokalpolitiker sollten sich umsetzen, damit alle ihn auch sehen könnten. "Ob ich alle akustisch erreichen kann, weiß ich nicht", fügte er hinzu und fragte: "Trägt jemand von Ihnen ein Hörgerät?"

Köjer selbst ist seit Jahren derart gehandikapt, "hochgradig hörgeschädigt", auf einem Ohr taub, er trägt diese technische Hilfe. "Wenn Sie mir zugehört haben, können Sie mitreden", versprach der Bürener den Ausschussmitgliedern einen Erkenntnisgewinn und schickte eine provokante Feststellung hinterher: "Nicht mal im Ministerium haben bis heute alle zugehört" – zu dem Beitrag, den die Fachleute der Förderschulen zum Thema Inklusion erbringen können. "Inklusion heißt auch Auflösung von Förderschulen", mochte Köjer "Klartext reden".

Information

Förderschule


Die Moritz-von-Büren-Schule hat eine lange Tradition, wurde 1830 als Taubstummenanstalt gegründet, gehört damit zu den ältesten Schulen für Hörgeschädigte im deutschsprachigen Raum.

Hauptaufgabe war anfangs, die Seminaristen, also künftige Volksschullehrer, zu befähigen, taubstumme Kinder gemeinschaftlich mit "den Vollsinnigen" zu unterrichten.

1876 wurde die Anstalt an den Provinzialverband zur Verwaltung und Unterhaltung "unter Übertragung aller dem Staate bezüglich derselben und der dazu gehörigen Vermögensobjekte zustehenden Rechte und obliegenden Verpflichtungen" übergeben.

1895 folgte der Einzug in das neue Schulgebäude in der Bertholdstraße – das heute noch genutzt wird.

Die Klassenanzahl und Zahl der Lehrkräfte wuchs kontinuierlich – 1917 ist mit 150 Schülern der Höchststand erreicht.

Der Begriff "taubstumm" wird nach dem Krieg durch "gehörlos" ersetzt

1962 Einrichtung der Haus- und Früherziehung

1969 Einweihung des Sonderkindergartens für Gehörlose, der Ende der 90er Jahre aus finanziellen Gründen wieder geschlossen wurde.

1996 gehen die Schule für Gehörlose Büren und die Schule für Schwerhörige Bielefeld einen Schulverbund ein, werden aber sechs Jahre später wieder verselbstständigt.

Umbennenung in Förderschule mit dem Schwerpunkt "Hören und Kommunikation" 2005.

2006 wird das neue Schulgebäude in der Bahnhofstr 12 eingeweiht und bezogen.

Förderschulkindergarten für hörgeschädigte Kinder eröffnet 2010.

In der Behindertenkonvention der Vereinten Nationen (UN), auf die sich inklusive Bildung beruft, stehe aber nichts von einer solchen Auflösung, so der Schulleiter. Reklamiert würde dort für alle Menschen die Teilhabe an allen Lebensbereichen. Diese ziele vor allem auf Barrierefreiheit. Gleichberechtigt teilhaben sollten auch hörgeschädigte Kinder an der Kommunikation in der Familie, im Umfeld sowie im Bildungssystem und im beruflichen Bereich.

Köjers Klientel, die Schülerinnen und Schüler der Moritz-von-Büren-Schule, Förderschule mit dem Schwerpunkt Hören und Kommunikation, verfügen fast alle über Hör-Reste. Diese können heute durch technische Hilfen genutzt werden. Daraus dürfe aber niemand ableiten, dass die Kinder und Jugendlichen Sprache im gewohnten Sinne verstehen würden, so Köjer. Erst durch die Kombination mehrerer Sinneswahrnehmungen und assoziativer Kombinationen könne sich eine Art Verständnis aufbauen.

Als eine Barriere für Hörgeschädigte benannte der Schulleiter Lärm – wie er an jeder allgemeinen Schule üblich ist. "Sie können dann nicht mehr konzentriert lernen", so Köjer zur Problematik bei dem mit der Inklusion angestrebten gemeinsamen Unterricht. "Viele Hörgeschädigte können nur unter den Bedingungen der Förderschule angemessen lernen." Die Teilnahme an einem Unterricht in der Regelschule sei "noch keine Teilhabe" am Lernen dort.

Für die Moritz-von-Büren-Schule machte Köjer eine erstaunliche Feststellung: "Es werden von uns mehr Kinder außerhalb als in der Schule betreut." Allein 90 hörgeschädigte Kinder im vorschulischen Bereich erfahren inklusive Bildung – und nur 7 im Kindergarten der Schule. Köjer: "Wir gehen damit weit über das Ziel der Inklusion hinaus." 40 Prozent der Hörgeschädigten, die von der Bürener Schule betreut werden, würden an Regelschulen in der Region von Sonderpädagogen betreut.

Über Jahre schon, so Köjer weiter, hole die Moritz-von-Büren-Schule aber auch hörgeschädigte Kinder aus allgemeinen Schulen heraus, weil sie in der Moritz-von-Büren-Schule besser gefördert würden. "Das Selbstbestimmungsrecht und der Elternwille werden in der neuen Gesetzgebung aber nicht berücksichtigt", sagt er. Die Betroffenen selbst hätten sich geäußert, seien aber offensichtlich nicht gehört worden.

Der Schulleiter empfahl in der aktuellen Diskussion, Brücken für Behinderte nicht einfach einzureißen. Mit einer vollständigen Inklusion werde womöglich nur eine "Segration in der Integration" erreicht. Köjer schloss seine Erklärungen mit der fordernden Feststellung ab: "Es gibt verschiedene Wege zur Teilhabe.‘