Geschichte der ehemaligen JVA bei Büren: Viel Verzweiflung hinter hohen Mauern

Büren. Die Abschiebehaftanstalt Büren Stöckerbusch entstand vor 30 Jahren in einer politischen Situation vergleichbar mit heute: Anfang der 1990er Jahre war die Zahl der Asylbewerber in Deutschland deutlich angestiegen. Die Bundesregierung verschärfte daraufhin das Asylrecht. Auf dem Gelände der 1992 frei geräumten NATO-Kaserne &bdquo;Kwartier Cortemarck“ im Wald zwischen Büren und Haaren ließ die nordrhein-westfälische Landesregierung damals den größten deutschen Abschiebeknast mit 530 Plätzen errichten. Ab dem 17. Januar 1994 wurden in den umgebauten Mannschaftsunterkünften der Soldaten die ersten ausreisepflichtigen Flüchtlinge einquartiert – hinter einer sechs Meter hohen Mauer. Die Gefangenen Wer in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Büren, seit 2016 Unterbringungseinrichtung genannt, inhaftiert wurde und wird, dessen Asylantrag wurde in der Regel abgelehnt. Die Zentralen Ausländerbehörden (ZAB) begründen die Haft mit fehlender Bereitschaft zur Ausreise, der Gefahr des Untertauchens oder Verstößen gegen Aufenthaltsbestimmungen. Die Gefangenen sind überwiegend keine Straftäter. Von Büren aus werden sie meist nach Düsseldorf oder Frankfurt zur Rückflügen in ihre Heimatländer gebracht. In den 30 Jahren mussten regelmäßig Gefangene wieder auf freien Fuß gesetzt werden, weil ihre Inhaftierung unrechtmäßig erfolgte – beispielsweise im Jahr 2000 monatlich 45 Flüchtlinge. Im Vergleich wurden in jenem Jahr aus Büren monatlich 200 Gefangene abgeschoben. Im Jahr 2000 war die JVA mit durchschnittlich 420 Gefangenen aus mehr als 60 verschiedenen Nationen belegt. In den Folgejahren sank die Zahl der Gefangenen durch den EU-Beitritt Polens und der baltischen Staaten. Die Bewacher Als Pilotprojekt in NRW setzte die Landesregierung mit der JVA-Eröffnung erstmals privates Sicherheitspersonal neben Justizvollzugsbeamten ein. Gestartet wurde 1994 mit 52 Beamten und 70 Bediensteten der Firma Kötter Security (Essen). Zeitweise näherte sich das zahlenmäßige Verhältnis der Beschäftigten stärker an. Die Haftbedingungen Die Gefangenen werden in den drei Hafthäusern in Zimmern für eine bis sechs Personen untergebracht. Ihnen wurde und wird täglich Freigang für etwa einer Stunde gewährt. Angeboten wurde bald nach der Eröffnung freiwillige Arbeit. Schon 1995 ist in der JVA ein Raum für Freizeit-Aktivitäten eingerichtet worden. Ab Mitte 1996 gibt es eine Rechtsberatung. Das Ziel der Landesregierung, Flüchtlinge nicht länger als drei Monate in Haft zu halten, konnte bei vielen Migranten nicht eingehalten werden. Einzelne blieben bis zu einem Jahr und sogar länger hinter diesen Mauern. Die öfter zu lange Haftdauer wurde auch von der JVA-Leitung kritisiert. Die internationale Organisation CPT gegen Folter lobte 2001 &bdquo;das außergewöhnliche Engagement des Personals“ für die Inhaftierten. Die Helfer Schon bald nach der Eröffnung der Haftanstalt gründeten Menschen aus Büren, Paderborn und Umgebung den Verein &bdquo;Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“. Erste Vorsitzende waren Irene Blumenthal (Restauratorin) und Bernd Balster (Lehrer), beide aus Büren. Ziel des Vereins war es von Beginn an, den Flüchtlingen sowohl rechtliche Unterstützung zu vermitteln als auch ihren Haftalltag zu erleichtern. Der Verein protestierte öfter gegen die Inhaftierung von offensichtlich jugendlichen Flüchtlingen. Sprecher des Vereins wurde bald Frank Gockel aus Paderborn (heute Detmold), später auch Vorsitzender. Dem Verein wurde für sein ehrenamtliches Engagement 2006 der Aachener Friedenspreis verliehen. Die &bdquo;Büren-Gruppe Paderborn“, sie trifft sich in den Räumen einer Pfadfinderschaft, kritisierte immer wieder das Asylrecht, das diese Haft erst ermöglichte. 2000 gründete sich ein Gefangenen-Fürsorge-Verein von Bediensteten für kleine materielle Hilfen. Ein JVA-Beirat lässt sich regelmäßig über Probleme informieren. Die Betreuer Für die psycho-soziale Betreuung der Inhaftierten richtete das Deutsche Rote Kreuz 1995 eine Stiftung mit der Kapitalsumme von fünf Millionen Mark ein. Die Soziale Beratungs- und Betreuungsdienste GmbH des DRK Westfalen-Lippe beschäftigte in der Haftanstalt Mitte 2000 acht Sozialbetreuer und mehrere Honorarkräfte für Unterricht, Sport und Freizeit. Ende 2000 stellte das DRK aufgrund fehlender Finanzmittel seine Arbeit ein. 2001 übernahm das Land NRW die Betreuung. Die Konflikte Mit der Inhaftierung endet(e) für die Flüchtlinge die Hoffnung auf ein neues Leben in Deutschland. Dagegen wehrten sie sich in den drei Jahrzehnten mit Revolten, Selbstverletzungen und Hungerstreiks. Am 28. April 1994 gingen 50 Gefangene nach einem Freigang nicht zurück in ihre Zimmer. Bei einer Meuterei Ostern 1995 überwältigten Häftlinge einen Beamten. Die JVA sprach von einem Sachschaden in Höhe von 250.000 Mark. Ende 1998 wandte sich eine Gefangeninitiative schriftlich an die Landesregierung. Nach Weihnachten 2010 traten 30 Gefangene für mehr als zehn Tage in einen Hungerstreik, sie verweigerten die offizielle Essenseinnahme. Am 4. April 2018 gelang drei Männern die Flucht. Die Todesfälle 1998 kam es zum ersten Todesfall in der JVA, als ein psychisch belasteter Häftling einen anderen so schwer verletzte, dass er starb. Am 30. August 1999 entzündete der Nordafrikaner Rachid Sbaii (19 oder 20 Jahre alt) seine Matratze und erstickte in der Arrestzelle. Vereinssprecher Frank Gockel verwies anschließend auf &bdquo;viele Suizid-Versuche jedes Jahr“. Am 4. Juni 2018 erhängte sich ein 41-jähriger Georgier in der Isolationszelle. Ein vierter Todesfall bis 2019 wurde nicht näher bekannt. Ein fünfter Flüchtling starb am 14. September 2023. Die Demonstrationen Bereits vor Eröffnung der Abschiebehaftanstalt protestierten 1993 etwa 100 Personen mit einem Marsch durch Büren gegen die geplante Einrichtung. Im Juli 1995 informierten Demonstranten mit Flugblättern die Teilnehmer der Hegensdorfer Prozession zu den drei Kreuzen im Haarener Wald über die Haftbedingungen. Nach dem Tod von Rachid Sbai 1999 rief der Hilfe-Verein mehrmals zu einer Mahnwache für den Verstorbenen an die JVA. Als am 21. Mai 2000 rund 400 Demonstranten von 500 Polizisten in einen Kessel in der Burgstraße geführt wurden, war eine Eskalation nicht ausgeschlossen. Bei der größten Demonstration zogen am Tag der Deutschen Einheit 2001 etwa 1.200 Menschen vor die JVA und durch Büren. Die Umwidmung Aufgrund vieler freier Haftplätze nahm die JVA Büren Ende der 2000er Jahre erstmals Strafgefangene auf – auch Frauen. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) untersagte 2014 diese gemeinsame Unterbringung. Am 26. Juli des Jahres wurden alle Inhaftierten verlegt. Die Haftanstalt eröffnete im Mai 2015 neu als &bdquo;Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige“ mit zunächst 100 Plätzen in Regie der Bezirksregierung Detmold – Kapazitätsziel 175 Betten. Die Ausschilderung Bereits zu den großen Demonstrationen nach 1999 hatten die Behörden JVA-Schilder am Abzweig im Haarener Wald abbauen lassen. Mit der Umbenennung 2015 wurde JVA auf den Richtungswegweisern in der Stadt Büren offiziell abgeklebt, die Haftanstalt und das damit verbundene Asylrecht weiter aus dem öffentlichen Gedächtnis gelöscht.

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