Jubiläums-Priester erinnern sich: „Vom Christkind konnte man sich alles wünschen“

Herr Sprenger, Herr Blome, Sie sind beide in der Nachkriegszeit aufgewachsen. Welche Erinnerungen haben Sie an Weihnachten als Kind, waren es trotz der Entbehrungen schöne Feiertage? Gerhard Blome: Ja, es waren schöne, spannungsvolle Tage. Vom Christkind konnte man sich ja alles wünschen. Meist war der Gabentisch neben einigen wenigen Süßigkeiten mit Unterhosen oder Pantoffeln gefüllt, Sachen, die zum Anziehen sowieso nötig waren. Bescherung war am 1. Weihnachtstag; erst ging es morgens um 6 Uhr in die Messe und wenn wir dann wieder kamen wurde die Stube aufgemacht und dann war Bescherung. Es war die große Spannung, die wir die lange Messe aushalten mussten. Johannes Sprenger: Bei uns war es ähnlich. Es gab nicht viel, aber das hat uns damals mindestens genauso erfüllt wie heute die üppigen Geschenke. Wenn man eine Apfelsine bekam, wurde die in der Familie geteilt. Heute ist das unvorstellbar. Der Heiligabend spielte damals keine große Rolle. Gab es auch ein Geschenk, an das Sie sich besonders erinnern? Sprenger: Geld war bei uns nicht so üppig da. In einem Jahr haben wir eine neue Krippe bekommen, da gab es dann keine anderen Geschenke. Springen wir ein paar Jahre nach vorne. Wie haben Sie Weihnachten als Priester erlebt? Blome: Die Kindermesse war nachmittags und die Christmette um 22 Uhr. Von 17 bis 22 Uhr war ich dann für mich alleine zu Hause, das war eine schöne Erfahrung – es braucht dich keiner, du musst nirgendwo hin, einfach mal die Beine lang machen. Heiligabend war immer festlich und schön. Nach der Christmette lud jedes Jahr abwechselnd eins der Kolping-Mitglieder noch zum Feiern ein. Sprenger: Bei uns war die Christmette eher und anschließend hat der Pfarrer zum Glas Wein eingeladen. Traditionell sind die Kirchen über die Feiertage immer voll. An den anderen Tagen im Jahr aber immer seltener. Wann begann dieser Abwärtstrend, dieses Desinteresse am Kirchenbesuch? Sprenger: Das ist eine schleichende Bewegung gewesen, die man so zunächst gar nicht wahrgenommen hat. Wir waren damals ja in einer Gemeinde zu Hause im Gegensatz zu heute, da sind die Priester im Pastoralen Raum unterwegs. Das war früher ein Vorteil für uns, der Kolping war sehr stark und auch die DJK. Ich bin ein unsportlicher Mensch, aber ich wurde Präses vom Sportverein und bin es 14 Jahre geblieben. Man hatte noch Zeit dazu, sich reinzuknien. Wir waren vor Ort, das ist heute nicht mehr möglich. Blome: In dem Maße, wie die Bekanntschaft und Vertrautheit der Gemeindemitglieder untereinander nachließ, brach auch die Teilnahme an den Gottesdiensten ab. Man kannte uns Priester, wir kannten die Gemeinde.Wir wurden eingeladen, waren bei allen Festen mit dabei. Es war ein großer Kreis von Menschen, mit denen man sehr vertraut war. Man hatte einen viel engeren Kontakt zu den Gemeindemitgliedern. Früher hatte man mit einem Pfarrgemeinderat, mit einer Frauengemeinschaft zu tun, – es war alles eins. Heute springe ich mal hier hin, mal da hin. Sprenger: Auch wir Priester hatten damals mehr Verbindungen untereinander. Auch das fällt heute mehr und mehr weg. Herr Blome, Sie waren in den 80ern auch in der Auslandsseelsorge in Argentinien tätig. Wie liefen da die Weihnachtsfeiertage ab? Blome: Weihnachten war dort im Hochsommer, wir hatten zwar Tannenbäume, aber keine Kerzen drauf. Dafür aber jede Menge buntes Lametta und bunte Sterne. Heiligabend war für alle ein Gottesdienst, dann wurde die ganze Nacht – typisch argentinisch – durch Fleisch gegrillt. Weihnachten war dann schon nicht mehr wichtig, morgens war kein Argentinier in der Kirche. Es gab ein paar italienische und jugoslawische Familien, die in dem Stadtteil von Buenos Aires lebten, nur die waren am Weihnachtstag in der Kirche. Sprenger: Ich habe ihn mal zusammen mit fünf Semesterkollegen in Argentinien besucht. Am Nikolausabend saßen wir in einer Gartenwirtschaft in gemütlicher Runde. Da habe ich eine Nikolauskerze, die ich unter der Jacke versteckt hatte, hervorgeholt. Die haben wir angezündet und &bdquo;Nikolaus, komm in unser Haus“ gesungen. Sie sind beide vor 50 Jahren im Paderborner Dom zu Priestern geweiht worden. Da waren Sie Herr Sprenger aber schon 30 Jahre alt, also ein Spätberufener. Sie hatten eine Lehre als Großhandelskaufmann gemacht, warum haben Sie sich dann doch für die Kirche entschieden? Sprenger: So ganz überraschend war das nicht, ich hatte immer einen guten Kontakt zur Kirche gehabt und auch immer den Wunsch, in den kirchlichen Dienst hineinzukommen. Davon hat mich zuerst die Schule abgehalten. Aber nach der Ausbildung war mir klar, wenn ich den Schritt noch machen wollte, dann wurde es Zeit. Ich hatte aber kein Damaskus-Erlebnis, das ist natürlich gewachsen. Hatten Sie in Ihrer langen Zeit als Priester auch mal die Nase voll und wollten am liebsten den Beruf wechseln? Blome: Sicher hat man sich manchmal geärgert über manche Leute, aber am Priesterberuf habe ich nie zweifeln müssen. Sprenger: Ich auch nicht. Was würden Sie als erfahrene Priester einem jungen Mann raten, der heute überlegt, Priester zu werden? Blome: Er muss schon ganz schön viel Mut haben. Die Liebe zu Gott und zur Kirche muss natürlich da sein. Er muss sich einsetzen wollen für Menschen, die auf der Suche sind nach dem Sinn. Wenn dich das so erfüllt, und du auch bereit bist dich dein ganzes Leben dafür einzusetzen und auch auf Familie zu verzichten, dann kannst du dich dafür entscheiden. Sprenger: Wir haben ja auch unterschiedliche Phasen in der Kirche erlebt. Was für mich der stabile Faktor war, war die Beziehung zu Gott. Und das möchte ich jungen Menschen wünschen, dass sie das als Voraussetzung haben. Denn wie sich die Zukunft der Kirche mal gestalten wird, wie der priesterliche Dienst sein wird, das ist noch ein großes Fragezeichen. Die katholische Kirche hat Probleme Priesternachwuchs zu bekommen, unter anderem auch durch den Zölibat. Müsste der nicht endlich abgeschafft werden und müssten nicht auch Frauen Priesterinnen werden dürfen? Sprenger: Diese Frage wird heiß diskutiert im synodalen Weg und sie lässt sich nur beantworten in der gesamtkirchlichen Situation. Das ist unser Problem – unser deutsches Problem, weil wir da stark vorangehen möchten, aber nicht die gesamtkirchliche Situation berücksichtigen. Ich glaube nicht, dass es zum Beispiel in Argentinien ein Thema wäre, dass Frauen Priester würden. Blome: In Argentinien ist die Frage der Emanzipation im gesellschaftlichen Bereich noch kein so zentrales Thema. Priesterinnen zu werden, wäre auch nicht das vorrangige Ziel, wohl mehr die Beteiligung der Frauen innerhalb der Kirche, was seit dem zweiten Konzil auch umgesetzt wird. Sprenger: Das ist genau der Punkt. Es wird noch nicht genug ausgeschöpft, dass Frauen in verantwortliche Stellen kommen. Das haben wir nun aber mehr und mehr. Auch in Paderborn in der Priesterausbildung. Das wäre früher unvorstellbar gewesen. Je mehr Frauen da Verantwortung übernehmen umso mehr geht der Druck weg. Blome: Ob in Deutschland mehr illegale Verhältnisse zwischen Priestern und Frauen bestehen als in Argentinien ist nicht eindeutig zu beantworten. Nur in Argentinien redet man nicht darüber. Südländer sind etwas großzügiger – mit sich und der Welt. Wie stehen Sie denn zum Zölibat aus? Sprenger: Würde der Zölibat aufgehoben, würde der priesterliche Dienst anders aussehen. Das ist ganz sicher. Blome: Man sieht es in der evangelischen Kirchen. Die Pastöre können einiges nicht tun, weil sie sich um die Familie kümmern müssen. Wir sind von sieben Tagen in der Woche mindestens fünf Abende unterwegs, ich hatte immer gut zu tun – das kann ich mir mit Familie nicht leisten. Ich wäre aber dafür, dass der Zölibat geöffnet würde und auf Freiwilligkeit gesetzt würde. Für mich kommt das aber nicht mehr in Frage. Man kann aber auch mit 75 noch heiraten. Blome: Ja, viele sind damit aber auch gescheitert. Wenn man ein Leben lang Single war, ist es nicht einfach. Die katholische Kirche steckt schon länger in der Krise, vor allem die aufgedeckten Missbrauchsfälle und der Umgang der Kirche damit sind die Hauptgründe. Wie kann die Kirche wieder das Vertrauen der Menschen gewinnen? Sprenger: Das ist schwer. Ich vermute mal, dass die Kirche noch nicht auf dem Tiefpunkt angekommen ist. Aber auch schon vor dem Missbrauchsskandal waren die Austrittszahlen bei der evangelischen Kirche vergleichbar mit unserer Kirche. Obwohl sie die Punkte haben, über die wir streiten. Der Grund muss wohl tiefer liegen. Die religiöse Beziehung ist für viele Menschen nicht mehr da und wenn dann solche Skandale kommen, ist der Schritt, auszutreten, nicht mehr weit. Aber ich erlebe wohl, dass es auch neue Aufbrüche gibt, die mehr spiritueller Art sind. Das erlebe ich auch bei jungen Menschen. Da muss ich an ein Zitat des Theologen Romano Guardini denken: Die Kirche erwacht in den Seelen. Das hat er vor 100 Jahren am Anfang der großen, liturgischen Bewegung gesagt. Ich glaube, dass nur auf diese Weise ein neuer Anfang da sein kann. Da wird manches, was heute von der Kirche betrieben wird, zusammenbrechen. Blome: Ich habe es als sehr beglückend empfunden bei den vielen Glückwünschen zu unserem Priesterjubiläum zu hören, du hattest Zeit für uns, du warst immer mit uns, dich konnte man immer ansprechen. Wenn Gemeinde und Kirche ortsnah und wir Priester auch menschennah bleiben und sind, kann daraus vielleicht was Neues entstehen. Müsste man dafür nicht auch wieder mehr Priester haben? Blome: Wir haben viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Gemeinde. Sprenger: Ich erlebe auch, dass die Verantwortung in der Dörfern übernommen wird ohne, dass die Initiative von uns kommen muss. Wobei unsere wohlwollende Begleitung auch wichtig ist. Es gibt in manchen Dörfern gute Kräfte, denen das Gemeindeleben vor Ort sehr wichtig ist und die sich dafür einsetzen – dazu brauchen sie uns gar nicht. Blome: Man muss sie auch machen lassen und sich nicht zu viel vom Pastoralen Raum einmischen. Lobenswert war die Einstellung von unserem Bischof Becker – wenn’s läuft, lass laufen. Wenn ihr Schwierigkeiten habt, dann müsst ihr euch melden, dann kann ich vielleicht helfen. Sie haben in Ihrem langen Berufsleben als Priester unzählige Menschen getauft, verheiratet und auch beerdigt. Gibt es da besondere, emotionale Momente, an die Sie sich immer wieder erinnern? Sprenger: Ich habe in Wünnenberg mehrere Iraner getauft, zwei auch getraut. Unter den Asylbewerbern habe ich Iraner erlebt, die das Christentum schon von ihrer Heimat her kannten, andere haben es hier kennengelernt und haben dann den Schritt getan – das hat mich sehr beeindruckt. Blome: Mich beschäftigt es in den letzten Jahren sehr, dass so mancher langjähriger Wegbegleiter gestorben ist. Da geht man nicht so einfach zur Tagesordnung über. Zurück zu Weihnachten. Wie feiern Sie das Fest, welche Traditionen gehören für Sie dazu? Blome: Heiligabend bin ich seit Jahren bei einer befreundeten Familie eingeladen. Am ersten Weihnachtstag feiere ich um 12.30 Uhr mit der spanischen Gemeinde den Gottesdienst mit dem traditionellen Krippenspiel und spanischen Weihnachts-Folkloregesängen. Hinterher lädt mich meistens eine der Familien zum Weihnachtsessen ein. Den zweiten Weihnachtstag verbringe ich mit meinen Geschwistern in Bad Wünnenberg. Sprenger: Ich habe an Heiligabend um 17 Uhr in Wünnenberg die Christmette und abends lädt der Pfarrer hier zum Abendessen ein. Am zweiten Feiertag habe ich noch zwei Gottesdienste, aber ausreichend Zeit für das Private.

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