"Aktenzeichen XY": Mehr als 100 Hinweise im Vermisstenfall Scarlett S.

Bad Lippspringe/Landkreis Waldshut. Mehr als fünf Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer haben am Mittwochabend die ZDF-Livesendung "Aktenzeichen XY: Vermisst" verfolgt. Darin wurde an prominenter erster Stelle das Verschwinden der Bad Lippspringerin Scarlett S. im Schwarzwald aufgerollt. Und das Publikum reagierte: Zwischen 40 und 50 Hinweise gingen alleine bis zum Ende der Sendung ein. Bei den meisten Anrufern handele es sich um Personen, die glauben, Scarlett S. am Tag ihres Verschwindens, dem 10. September 2020, auf dem Schluchtensteig gesehen zu haben, berichtete Alfred Hettner vom Landeskriminalamt München, wobei er das Wort "glauben" hörbar betonte. Ein weiterer Zuschauer habe auf der Etappe einen Gegenstand gefunden, der aus dem Supermarkt stammen "könnte", in dem Scarlett zuletzt eingekauft hatte. Darüber hinaus gibt es laut Hettner noch Hinweise unterschiedlicher Richtungen, die allesamt jetzt von der zuständigen Polizeidienststelle umfassend und ausgiebig überprüft werden sollen. Die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen sprach auf Anfrage von nw.de am Donnerstagnachmittag sogar von über 100 Hinweisen, die eingegangen seien. Dabei beziehe sich die überwiegende Anzahl auf Sichtungen und Vermutungen. Die Auswertung wird laut der Behörde einige Zeit in Anspruch nehmen. "Viele Spekulationen und Emotionen"? Der LKA-Ermittler hatte bereits eingangs deutlich gemacht, dass bei Meldungen zu Vermisstenfällen wie dem von Scarlett S. immer "viele Spekulationen und Emotionen" im Spiel seien. Der Grund liegt laut Hettner auf der Hand, da die entscheidenden Fragen - was ist passiert, ist den Personen etwas zugestoßen oder sind sie einfach nur untergetaucht? - unbeantwortet seien. "Deshalb möchte ich auch keine falschen Hoffnungen wecken", so Hettner. Im Fall Scarlett S. gibt es ohnehin zahlreiche Spekulationen und Theorien. Als über die 26-Jährige im vergangenen Herbst in der Sat1-Gold-Sendung "Wenn Menschen verschwinden" berichtet wurde, gingen zwar im Nachhinein auch eine Handvoll Hinweise bei der Polizei ein. Diese enthielten jedoch "größtenteils Bekanntes" oder waren laut Polizei sogar "irrelevant". Ähnlich verhielt es sich auch im Paderborner Mordfall Frauke Liebs, der ebenfalls im vergangenen Spätherbst Gegenstand einer TV-Dokumentation war. Nach der Ausstrahlung auf RTL erreichten Staatsanwaltschaft und Polizei eine "mittlere, zweistellige Anzahl" von Hinweisen. Zu neuen Erkenntnissen führten sie aber bislang offenbar nicht. "Sieht dein Kind auch die Sterne?" Die Ausstrahlung von "Aktenzeichen XY: Vermisst", die jetzt in der ZDF-Mediathek verfügbar ist, war aber in anderer Hinsicht bemerkenswert: Erstmals äußerte sich die Familie von Scarlett S. öffentlich. Sowohl ihr Vater Ralf Salice als auch ihre Tante Gina Salice kamen in den Einspielern zu Wort und saßen nach dem knapp 16-minütigen Film bei Moderator Rudi Cerne im Studio. Sie gaben Einblicke in das Seelenleben der Angehörigen und sorgten damit immer wieder für regelrechte Gänsehautmomente. So pflegt Ralf Salice noch immer das Auto seiner Tochter: "Wenn sie zurückkehrt, braucht sie es doch", sagt er mit tränenerstickter Stimme. Und er erzählt, wie er und seine Frau ihr Leben meistern, über dem jetzt ein Schatten liege. Die Nächte seien kurz: "Immer fragt man sich: Sieht dein Kind auch die Sterne?" Mit bislang nie gezeigten privaten Aufnahmen, Videos, Text- und sogar Sprachnachrichten zeichnete der insgesamt 26-minütige Beitrag zu Scarlett S. das Bild einer fröhlichen spontanen, kontaktfreudigen, engagierten und reiselustigen jungen Frau. Die Sendung skizzierte fast minutiös die letzten Monate und vor allem Stunden vor dem Verschwinden Scarletts zwischen Todtmoos und Wehr. Keine Anhaltspunkte für ein Tötungsdelikt Was ist dann mit ihr geschehen? Polizei und Staatsanwaltschaft halten weiterhin ein Unglück für naheliegend, schließen aber trotz fehlender Hinweise auch nicht aus, dass Scarlett ihre Pläne geändert und in ein fremdes Auto gestiegen sei. Für ein Tötungsdelikt gibt es auch weiterhin keine Anhaltspunkte, teilte die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage von nw.de mit. Ralf Salice jedenfalls will die Hoffnung, dass seine Tochter wieder auftaucht, nicht aufgeben: "Ein Kind darf keine Erinnerung werden."

Meistgelesen